Die Slowakei feiert am 1. Mai zehn Jahre Mitgliedschaft in der Europäischen Union. Das EU-Statistikamt Eurostat stellte einer Region des Landes vor kurzem ein Zeugnis aus, auf das sich auch anstoßen lässt. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist die Region Bratislava die fünftreichste Region in ganz Europa. Somit hat das slowakische Hauptstadtgebiet sogar seine "Twin City" Wien überholt.

Doch das ist kein Phänomen der letzten zehn Jahre. Die Region Bratislava lag auch über dem Schnitt der EU- und Anwärterstaaten, als das Statistikamt die Daten von 2001 auswertete.

Antrieb Automobilindustrie

In der Slowakei ist ein starkes West-Ost-Gefälle zu verzeichnen. In Bratislava sitzen die meisten der großen Firmen des Landes, viele internationale Unternehmen sind hier vertreten. Das umsatzstärkste Unternehmen des Landes ist Volkswagen Slovakia. Der Porsche Cayenne soll ab 2016 ausschließlich im Bratislavaer Werk hergestellt werden, der Kleinwagen VW Up! läuft hier beispielsweise vom Band.

Die slowakische Wirtschaft ist stark von der Automobilindustrie abhängig. Gerade in der Hauptstadt ist das Zulieferernetz eng verwoben. Auch Slovnaft, die größte Raffinerie des Landes, hat ihren Sitz in der Hauptstadt. All die großen Dienstleistungs- und Handelsunternehmen stehen dem in nichts nach - Tesco Slovakia, die Slovak Telekom und IBM Slovensko etwa.

BIP bei 186 Prozent des EU-Durchschnitts

Die großen Unternehmen ziehen Arbeitssuchende aus dem Inneren des Landes wie ein Magnet an. Rund acht Prozent der Gesamtbevölkerung sind in Bratislava beheimatet. In der Hauptstadtregion wird knapp ein Drittel des BIPs des ganzen Landes erwirtschaftet.

Die Investoren kamen größtenteils nach der Wende, als die Slowakei noch nicht Mitglied der Europäischen Union war - sei es aufgrund der billigen Arbeitskraft oder der günstigen Infrastruktur. Bratislava hat ein gut ausgebautes Straßennetz, einen internationalen Flughafen und einen Hafen. Es liegt im Dreiländereck mit Österreich und Ungarn. An die tschechische Grenze sind es weniger als hundert Kilometer, nach Polen ist es etwa doppelt so weit.

Vor dem Fall

Allerdings scheint die Region ihre Anziehungskraft zu verlieren. Investoren haben in den vergangenen Jahren begonnen, nach Alternativen zu suchen. Während die Slowaken im Schnitt rund 850 Euro brutto verdienen, finden die Bratislavaer 30 Prozent mehr Gehalt auf ihrem Lohnzettel, die Lebenshaltungskosten in der Hauptstadt lassen sich größtenteils mit den westlichen vergleichen. Aber auch die horrend nach oben geschnellten Immobilienpreise lassen die Unternehmen einen Blick über die Hauptstadt hinaus werfen. Volkswagen etwa hat Anfang des Jahres angekündigt, sein Werk im mittelslowakischen Martin weiter auszubauen, IBM will im östlichen Kosice neue Arbeitsplätze schaffen.

Der Rest kullert hinterher

Erreicht eine Region weniger als 75 Prozent des europaweiten BIP-Durchschnitts, so gilt sie laut Eurostat als arm. Dazu zählen außer Bratislava alle untersuchten Regionen der Slowakei, darunter auch die Region Westslowakei. (Katrin Litschko, DER STANDARD, Langfassung, 26.4.2014)