Christopher Taylor alias Sohn bannt den Soul. 

Foto: 4AD/Waldschütz

Wien - Stellen Sie sich vor, jemand sagt zu Ihnen: Kind, lieg nicht immer so aufreizend gelangweilt herum und teenagere vor dich hin. Wenn es fad wird, muss man kreativ werden. Schreib doch einfach auf, wie es dir geht, und mache ein schönes Lied daraus. Du spielst doch so schön Klavier.

Wie es einem geht? Wahrheit ist ein scharfes Schwert. Sie ist ein Lied über Minderwertigkeitsgefühle, Probleme mit dem Boy- oder Girlfriend, darüber, dass man sich in der Welt verloren vorkommt, Angst vor der Dunkelheit hat, Angst vor den Menschen. Dazu die Wunden, die das Leben schlägt - und die schlechte Narbenbildung als kleines Dankeschön von Mutter Natur. Überhaupt: Mutter! Irgendwie ist dann auch noch das System im Allgemeinen daran schuld, unter dessen Räder man gerät.

Uhhhh yeah, es ist nur ein halbes Leben, das wir führen. Die Sehnsucht kann niemand stillen. Die Träume werden sich nicht erfüllen. Alles hohl hier, leer, leer, leer - und fad, furchtbar fad. Keine Rede davon, dass man schon als Junger Probleme mit den Bandscheiben oder dem Blutdruck haben kann. Schiefe Wirbelsäule, Senkfuß, verspanntes Sitzen, Dauermigräne. Wenn du glaubst, dass du mich gehen lassen musst, dann wird es Zeit, dass du das tust. Ich habe fertig hier.

Das ist natürlich starker Stoff, der von Sohn in der Wiener Arena weggesungen wird, während pochende Bassfrequenzen langsam und stetig Richtung Erdkern vordringen. Sohn steht für Christopher Taylor, einen jungen Mann aus London, der seit einigen Jahren in Wien wohnt. Er hat hier früher als Trouble Over Tokyo einige nette, aber verhaltensunauffällige Platten aufgenommen. Er verkaufte sie tatsächlich als "Angstpop".

Irgendwie klang Trouble Over Tokyo, als habe sich Justin Timberlake beim Clubben im Flex am Donaukanal eine Indierockband eingetreten. Das darf heute nicht einmal mehr Wikipedia wissen. Taylor änderte aus Respekt vor den Opfern von Fukushima kurzfristig den Projektnamen zu Sohn, zog sich ein schwarzes Hoodie über den Kopf und löschte mit reiner Gedankenkraft als intergalaktischer Imperator vom Soul-Stern die Erinnerung an Trouble Over Tokyo aus dem Gedächtnis des Universums. Er wollte der Mann werden, der aus dem Nichts kommt und die ganze Welt, nicht nur den Donaukanal besoult. Das jetzt nach gut lancierten Geheimniskrämerei-Artikeln in der Trendsetterei-Presse veröffentlichte Album Tremors wurde im Rahmen einer laufenden Tournee durch die angesagtesten Freizeitgastronomielokale der Weltjugend nun auch in der Wiener Arena vor vollstem Haus präsentiert.

Es macht Bumm

Der Saal wartete fiebrig. Das Licht ging aus, und nur wenige um eine Keyboardkommandozentrale aufgestellte Laserschwerter gingen wieder an. Es machte Bumm. Dann kam nichts. Dann machte es Tschak. Dann kam der schwarz behoodete Imperator, setzte sich ans Steuerpult und flehte mit eindringlicher Kopfstimme, dass der Herr ihn geleiten möge, auch durch seine Fehler, ungewaschen und nackt - außerdem sei der Herr sehr gemein zu ihm gewesen. Uhhhh yeah. So ging es weiter. Angst auf der Bühne, Bedrückung im Saal. Hey, tapfer sein, wir sehen das nächste größte neueste Ding! Anders als im Märchen aber geht es hier mit zischenden, ruckelnden, super glattpolierten Raumschiffen namens "James Blake" und "Jamie Woon", die mit Flokatis und mit von Schalmeien bedudelten Ruhezonen ausgestattet sind, nicht etwa Richtung Himmel, Freiheit und Erlösung.

Sohn soulte sich mit zwei zurückhaltenden, ebenfalls als Männer in Schwarz für uns leidenden Musikern lieber in Zeitlupe auf der Therapeutencouch. Der geht dort nicht mehr weg. Sohn ist nämlich der ärmste Mensch der Welt. Das privilegierte Leiden junger weißer Männer aus der Mittelschicht. Geboren, um zu verlieren. Never change a winning team. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 25.4.2014)