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Tierbegegnungen sind beim Skukuza-Halbmarathon keine Seltenheit. Ernste Zwischenfälle gab es noch nie.

Foto: Corbis / Yann Arthus-Bertrand

Im Skukuza-Camp kursieren vor den Toiletten die wildesten Gerüchte: Heute früh um sechs sei ein Leopard von der Strecke verscheucht worden, erzählt eine junge Frau in pinkem Lauftrikot. Eine andere will wissen, dass ein Nilpferd einen der Wasserstände umgerannt hat. Sicher, weil mit eigenen Augen gesehen, ist eines: Bei Kilometer 16, auf der Straße, die ins Camp führt, saßen vor einer Stunde noch zwei ausgewachsene Hyänen.

Skukuza ist das größte Camp des Krüger-Nationalparks und Namensgeber des alljährlich dort stattfindenden Halbmarathons. Vor 27 Jahren hatte ein Skukuza-Angestellter die Idee, einen eigenen Laufklub zu gründen. Dazu gehört in Südafrika die Organisation eines öffentlichen Laufs einmal pro Jahr. Kein leichtes Unterfangen im größten Nationalpark Südafrikas, wo Elefanten, Büffel, Nashörner und Löwen zu Hause sind. Schwierig, aber offensichtlich nicht unmöglich. Am 2. August 2014 wird bereits der 25. Skukuza-Halbmarathon stattfinden.

Die Stimmung vor dem Start ist aufgekratzt. Jemand witzelt, dass man nur nicht der Letzte sein darf. Den fressen die Löwen. Wie lustig. Immer wieder fliegt ein Hubschrauber über die Menge hinweg. Der Pilot hat die Laufstrecke bereits abgeflogen, um Elefanten und anderes Großwild mit seinem Lärm zu vertreiben. Er wird die Strecke aus der Luft bewachen, bis der letzte Läufer das Ziel erreicht hat. Aber wie soll er 21 Kilometer permanent im Blick haben?

Löwen zum Start

Löwengebrüll aus dem Lautsprecher ersetzt den üblichen Startschuss. Die schwarzen Läufer in den ersten Reihen sprinten auf Nimmerwiedersehen davon. Die Strecke startet auf dem Fußballplatz im Staff Village, dem Wohngebiet des Personals mit Schule, Kindergarten und Gewächshaus, und führt in einer Fünf-Kilometer-Schlaufe um dieses herum. Ein Zaun existiert hier nicht. Der separate Bereich für Touristen mit Unterkünften, Restaurant und Schwimmbad hingegen ist rundherum gesichert.

Die Läufer joggen an einem Damm vorbei, wo ein paar Nilpferde dümpeln. Als der Golfplatz in Sicht kommt, erzählt Carien van der Walt, eine Südafrikanerin, die extra aus Kapstadt angereist ist, eine Geschichte: Vor einigen Jahren erschlug ein Skukuza-Bewohner beim Golfspiel eine Impala-Antilope mit seinem Ball. Er lief noch besorgt hin, aber das Tier war tot. Aus dem Augenwinkel bemerkte er eine Bewegung. Eine Löwin kauerte unweit der toten Antilope und starrte ihn an. "Sie hatte es auf die Impala abgesehen", sagt Carien und erklärt, dass Menschen normalerweise nicht ins Beuteschema gehören. Normalerweise. Und wenn sie so verlockend durch die Gegend rennen?

Die große 16-Kilometer-Schlaufe führt zunächst an Tiergehegen vorbei, die mit einem Elektrozaun gesichert sind. Dort werden Büffel oder Nashörner "geparkt", bevor man sie in eine andere Gegend des Krüger-Parks transferiert. Rechts davon erstreckt sich undurchdringlicher afrikanischer Busch. Der intensive Geruch von wilden Tieren steigt den Läufern in die Nase. Mehrere Nashörner schauen irritiert durch die Gitter auf die joggende Menschenschlange. Eines senkt den Kopf und stampft mit dem Vorderbein auf.

Zwei jungen Frauen in Leopardenlookröckchen überholen uns. Beim Start schon waren zwei Männer aufgefallen: der eine als Leopard bemalt, der andere als Zebra. Die bewaffneten Ranger, die alle zwei Kilometer am Wegesrand stehen, bekommen einiges geboten. Doch der nächste, dem die Läufer begegnen, starrt, Gewehr im Anschlag, Richtung Busch. Irgendwer keucht was von Elefanten. Einige fangen an zu rennen, nur Carien hält seelenruhig ihr Tempo.

Die 50-Jährige steht für einen in Südafrika recht verbreiteten Menschenschlag: angstfrei und grenzenlos naturbegeistert. Darauf angesprochen, erzählt sie, dass sie und ihr Mann Campingplätze ohne Zäune bevorzugen. Wegen der unverfälschten Naturerlebnisse. Wahrscheinlich auch wegen des Adrenalinkicks und der Geschichten, die man dann zum Besten geben kann: Da schleichen Hyänen nachts ums Camp, Löwen liegen in der Mittagspause im Schatten des Zeltes, und Elefanten verputzen den Busch, der zum Trocknen der Geschirrtücher diente. Leider gebe es solche Campingplätze nicht im Krüger, bedauert Carien. Aber dafür den Skukuza-Halbmarathon, und der sei bei ihnen eine Familientradition. "Ich nehme zum zwölften Mal teil, meine Schwiegermutter ist von Anfang an mit dabei. Aber sie hat nach der kleinen Schlaufe aufgehört. Sie ist 77 und hat's an der Hüfte", sagt Carien.

Rasch überlaufen

"Wir haben viele südafrikanische Stammgäste", bestätigt Ruda van der Westhuizen, eine der Mitorganisatorinnen des Laufs, später. Dennoch gilt der selbst in Südafrika als Geheimtipp. Für ihn wird keinerlei Werbung gemacht, er ist nicht einmal im Jahreskalender der südafrikanischen Laufklubs verzeichnet. Anmelden kann sich aber jeder, nur sehr früh dran muss man sein, da der Halbmarathon auf rund 1300 Teilnehmer begrenzt ist.

Elefanten sehen die Läufer keine. Dafür zwei Büffel. Angeblich leicht zu reizen und dann hochaggressiv. Diese beiden spazieren keine 30 Meter entfernt parallel zum Weg, ein Ranger hat sie im Blick. Aber die roten, pinken und gelben Lauftrikots scheinen sie nicht zu interessieren.

"Tierbegegnungen gibt es jedes Jahr", sagt Ruda van der Westhuizen, "aber wir haben noch nie einen ernsthaften Zwischenfall gehabt." Ein Leopard wurde an diesem Morgen tatsächlich verscheucht, und auch das Nilpferd hat den Wasserstand umgerannt.

Der Skukuza-Halbmarathon hat mittlerweile Nachahmer gefunden. In Kenia findet seit 2009 jährlich der Masai Mara Marathon statt, in Simbabwe ebenfalls seit 2009 der Victoria Falls Marathon. Kritiker monieren, dass Nationalparks dem Schutz von Naturräumen und Wildtieren dienen und Massenevents dort nichts verloren haben.

Andrerseits lenken solche Ereignisse die Aufmerksamkeit auf die Probleme der Parks, etwa die dramatische Zunahme der Wilderei. So fließen die Einnahmen des Skukuza-Halbmarathons in Schutzprojekte. 2013 kamen sie den Nashörnern zugute. 827 Rhinozerosse wurden in Südafrika in vergangenen Jahr bis zu diesem Halbmarathon gewildert, ein großer Teil davon im Krüger-Nationalpark.

Carien hängt ihre Entourage nach 18 Kilometern schließlich ab. Anders als erwartet, geht es bergauf, bergab, und auf Schotterpisten muss man die Füße höher heben als auf Asphalt. Der Höhepunkt des Laufs ist wider Erwarten keine Tierbegegnung. Das Beste kommt beim Einlaufen ins Ziel: eine eiskalte Dose Bier. (Juliette Irmer, DER STANDARD, Rondo, 25.4.2014)