Vor dem Unterrichtsministerium demonstrierten auf dem Minoritenplatz 50 Schülerinnen und Schüler gegen die Einsparungen, die Kanzler und Vizekanzler ein paar hundert Meter weiter im Bundeskanzleramt verteidigten.

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"Die neunte Schulstufe ist ein pädagogischer Brandherd", warnt Bildungsforscher Günter Haider vor Verschlechterungen genau an dieser Übergangsstelle im Schulsystem.

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STANDARD: Unterrichtsministerin Gabriele Heinisch-Hosek muss heuer 57 Millionen Euro und 2015 60 Millionen Euro sparen. Wie soll sie das anstellen?

Haider: Die bisher angekündigten Einsparungen im Unterrichtsbereich sind nicht akzeptabel, und ich kann nicht verstehen, dass gerade eine sozialdemokratische Ministerin den Kürzungsrasenmäher so kräftig schiebt. Ich hätte mir von ihr entschieden mehr Widerstand in der Regierung erwartet.

STANDARD: Sie wird den Betrag liefern, weil Kanzler und Vizekanzler das wollen. Wo sehen Sie Möglichkeiten, im Schulbudget zu sparen?

Haider: Es tut mir in der Seele weh, wenn ich täglich lese, wohin im Staat das Geld in ganz anderen Dimensionen fließt. Und dann sollen dafür 117 Millionen ausgerechnet in der Schule eingespart werden! Erfahrungsgemäß kann man das in der Verwaltung kurzfristig nicht einsparen. Der Verwaltungsanteil am Budget ist relativ klein. Die vom Rechnungshof oder aus Kreisen der Wirtschaft behaupteten großen Einsparungspotenziale halte ich für Fantasiezahlen. Ich sitze selbst im Salzburger Landesschulrat. Heuer sind die Bezirksschulräte abgeschafft worden und auch die Vizepräsidentenstelle. Aber bis diese Personen, die ja im Allgemeinen unkündbare Stellen haben, tatsächlich ausscheiden und man nennenswerte Summen einspart, dauert das viele Jahre. Wenn man jetzt kurzfristig einsparen muss, so schmerzt das sehr, denn das passiert notgedrungen beim Unterricht, das heißt beim Personal. Sicher kann man langfristig auch im Verwaltungsbereich etwas einsparen, aber dafür fehlt es im Gegenzug an tausenden Unterstützungskräften für die Schulen, auch in der Schuladministration.

STANDARD: Die geplante und wieder zurückgezogene Erhöhung der Teilungszahlen in den 9. Klassen sorgte für große Aufregung. Zu Recht?

Haider: Worauf Frau Heinisch-Hosek ihre Entscheidungen der ersten hundert Tage stützte, ist Lehrern, Eltern und Experten schleierhaft und in hohem Maße sachlich nicht nachvollziehbar. Das, was sie als Einsparungen verordnet hat, schaut nicht danach aus, als wäre es von jemandem gemacht, der vom Schulsystem etwas versteht. Es sind Verschlechterungen an Stellen eingeplant, die ja ohnehin schon Brandherde im System sind, etwa die neunte Schulstufe.

STANDARD: Warum?

Haider: Sie ist ein pädagogischer Brandherd, weil es eine schlecht konstruierte Schnittstelle ist - vom achtjährig organisierten Schulsystem in das letzte Jahr der neunjährigen Schulpflicht. Das ist eine seit Jahrzehnten bekannte Systembruchstelle, weil die Schüler ja noch mindestens ein Jahr Schule absolvieren müssen. In polytechnischen Schulen tun das nur rund 20 Prozent, sehr viele wollen das Jahr in berufsbildenden mittleren und höheren Schulen ableisten. Der Andrang führt in den ersten Klassen zu hohen pädagogischen Anforderungen, auch weil viele dieser Schüler den dortigen Leistungsanforderungen kaum gewachsen sind. Das führt in den BMHS nach dem ersten Jahr zu hohen Drop-out-, Wechsel- und Repetierquoten zwischen 30 und 40 Prozent.

STANDARD: Warum ist das so?

Haider: Das rührt daher, dass dort zusätzlich zu den höheren Anforderungen eben ziemlich große Klassen sind und aufgrund der Situation eine gewisse Friss-Vogel-oder-stirb-Methode entsteht. Durch Verkleinerung der Klassen wurde das etwas entschärft. Sobald man dort mehr Lehrer hat, mehr fördert, also pädagogisch unterstützend besser eingreift, steigen die Erfolgschancen der Schüler. Will man möglichst viele dieser jungen Leute in den BMHS halten, muss man die Gruppengrößen runtersetzen und die Betreuungssituation verbessern, weil die neunte Schulstufe einfach der kritische Punkt ist. Da verliert man die meisten. Dazu kommt: Die mittleren Schulen sind auch jene mit dem höchsten Anteil an Schülern mit nichtdeutscher Muttersprache, in Wien zum Teil mit 50 Prozent und mehr. Da kulminieren im ersten Jahr die Probleme. Diese Schüler würden zusätzliche Unterstützung brauchen und nicht weniger.

STANDARD: Was sagen Sie dazu, dass auch die Neue Mittelschule (NMS) durch Streichung von Teamteachingstunden sparen sollte?

Haider: Die Politik hat die gute pädagogische Idee verhunzt, zuerst natürlich die ÖVP, dann aber auch die SPÖ und Ministerin Schmied. Am Schluss hat man sich darauf verlassen, dass das zwei- bis dreistündige Zwei-Lehrer-Teamteaching Wunder wirken sollte. Diese Maßnahme traf aber auf viele Lehrer, die mit dieser Unterrichtsform noch nicht vertraut oder davon wenig begeistert waren. Kürzt man Teamteaching nun, wird das kaum die Leistungen, aber die bestehende Frustration in den NMS steigern. Ständig werden im Unterricht Ressourcen gestrichen, immer natürlich mit dem Verweis, man möge sich an den Schulen doch autonom überlegen, wie man alles noch sparsamer machen könnte. Das kotzt alle Betroffenen inzwischen nur noch an, Lehrer, Eltern und Schüler. Denn in Wirklichkeit steigen speziell in den Pflichtschulen die pädagogischen Anforderungen. Dort kann man nichts mehr einsparen, schon gar keine Lehrer. Da fährt man längst über der Kante.

STANDARD: Was heißt das konkret?

Haider: Lehrer fühlen sich in ihrer Arbeit und ihren Anliegen längst nicht mehr wertgeschätzt und spüren, dass Probleme immer auf ihrem und dem Rücken der Schüler ausgetragen werden. In den letzten Jahren hat man so die Motivation vieler Lehrer zerstört. Ministerin Heinisch-Hosek denkt über ihre verordneten Kürzungen vielleicht nochmals nach - ihre verheerende Botschaft ist aber bereits ausgesendet und auch an den Schulen angekommen. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, 24.4.2014)