Bild nicht mehr verfügbar.

Wanderfalken im Aufwind: In Städten wie hier in Leipzig gehen die Vögel gern auf Taubenjagd.

Foto: Marcio Jose Sanchez/AP/dapd

Wien - Frühling: Am blauen Himmel über der Stadt kreist gemächlich ein grauer Vogel. Als weiter unten eine Taube ihres Weges eilt, stürzt das Tier in atemberaubendem Tempo hinterher. Federn stieben auseinander, aber die Taube schafft es, irgendwie zwischen den Dächern zu entkommen. Glück gehabt.

Jagdszenen wie diese lassen sich heutzutage in vielen europäischen Städten beobachten. Falco peregrinus, der Wanderfalke, hat offenbar Gefallen an urbanen Lebensräumen gefunden. In der Heidelberger Altstadt zum Beispiel brüten zwei Exemplare alljährlich im Turm der Heiliggeistkirche - zum Erstaunen vieler Touristen.

Es sah mal anders aus. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein wurde der Wanderfalke, wie andere Greifvögel auch, praktisch überall in Europa gnadenlos verfolgt. Nach dem Zweiten Weltkrieg drohte den gefiederten Jagdfliegern plötzlich eine ganz andere Gefahr: DDT.

Das damals neue Insektengift und ähnliche Substanzen wurden tonnenweise zur Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Durch Anreicherung über die Nahrungskette nahmen fleischfressende Vogelarten immer größere Mengen der tückischen Toxine auf. Die Folge: Die Schalen ihrer Eier wurden brüchig, Embryonen und Altvögel starben. Ganze Populationen kollabierten.

In Österreich war der Wanderfalke Anfang der Siebziger fast ausgestorben. Nach dem Verbot von DDT und dessen Derivaten im Jahr 1972 setzte jedoch rasch eine Erholung ein. Auch die zusätzlichen Schutzmaßnahmen zeigten Erfolg. Mancherorts wurden Wanderfalkenhorste rund um die Uhr von Freiwilligen bewacht, um Plünderung durch Nesträuber zu verhindern. Gewissenlose Falkner zahlen mitunter beachtliche Summen für Eier oder Jungvögel - noch immer.

Inzwischen ist der Bestand von Falco peregrinus hierzulande wieder auf circa 270 Brutpaare angewachsen. Der positive Trend wurde in den vergangenen Jahrzehnten auch in fast allen anderen europäischen Ländern registriert. In Spanien liegt der Brutbestand sogar bei mehr als 2500 Paaren. "Den Wanderfalken geht es wieder gut", stellt die Biologin Anita Gamauf vom Naturhistorischen Museum Wien fest. Ihr Kollege Remo Probst, Greifvogelexperte der Organisation BirdLife Österreich spricht gar von "einem Aushängeschild des erfolgreichen internationalen Artenschutzes".

Beide Wissenschafter betonen, dass die österreichische Population mittlerweile stabil sei. Am häufigsten siedeln die Vögel in den Nördlichen Kalkalpen. Im dortigen Wildnisgebiet Ötscher/ Dürrenstein leben bis zu 26 Brutpaare in einem Areal mit einer Fläche von 800 Quadratkilometern. Es sind vor allem die steilen Felswände in Flusstälern, die den Tieren ideale Nistgelegenheiten bieten.

Die Anzahl der tatsächlich aktiven Brutpaare ist aber natürlichen Schwankungen unterworfen, erklärt Anita Gamauf. Die jährliche Variation kann bis zu 30 Prozent betragen. Nicht brütende erwachsene Wanderfalken gehen normalerweise nicht auf Wanderschaft, zumindest nicht diejenigen aus dem Alpenraum. Auch im Winter sind die meisten von ihnen standorttreu. "Die Reviere fungieren praktisch als Besitz, wodurch sich eine Reihe von Vorteilen bietet", sagt Gamauf.

Beutezug bei den Nachbarn

Die Tiere kennen das Gelände sehr genau, seine Jagdmöglichkeiten und Rastplätze - und die Nachbarn. Nicht selten gehen sie auswärts auf Beutezug und fliegen in die offenen Landschaften des Voralpenraums. Junge, noch nicht reviergebundene Wanderfalken haben eine viel stärkere Neigung zum Herumstreichen. Sie wandern aus den Kalkalpen unter anderem bis nach Süddeutschland. Die Vögel tauchen ab Spätsommer bis weit in den Winter hinein öfter in Wien auf. "Die hohe Taubendichte macht die Stadt attraktiv", meint Gamauf. Auch in Graz, Salzburg, Linz und Innsbruck sind die eleganten Flieger während der kälteren Jahreszeit regelmäßig zu beobachten.

In Bezug auf seinen Speiseplan ist Falco peregrinus nicht sehr wählerisch - solange es Geflügeltes gibt. Gejagt wird praktisch alles, "was sich in den freien Luftraum wagt", wie Remo Probst erläutert. Von kleinen Singvögeln bis zu ausgewachsenen Ringeltauben. Stare und Drosseln werden oft erbeutet. Einige, vermutlich aus Nordeuropa stammende Wanderfalken überwintern am Neusiedler See. Sie stellen dort verschiedenen Entenarten und Watvögeln nach. Säugetiere, Reptilien oder Amphibien werden nur selten gefressen.

Schwergewichtige Weibchen

Zwischen den Geschlechtern herrscht bei diesem Greif eine typische Arbeitsteilung: Die deutlich größeren Weibchen machen Jagd auf schwerere Vogelarten und können Beutestücke mit einem Gewicht bis etwa 300 Gramm zum Horst tragen, während die Wanderfalkenmännchen leichtere Kost herbeischaffen. Die Tiere selbst und ihr Nachwuchs sind dennoch nicht vor Gefahren gefeit. In Mitteleuropa stellen vor allem Uhus eine potenzielle Bedrohung dar. Die dämmerungsaktiven Großeulen plündern hin und wieder die Nester der Wanderfalken und können sogar die Altvögel auf ihren Schlafplätze überraschen. Nur in der Luft ist Falco peregrinus unbesiegbar.

Unter Biologen ist die Art vor allem wegen ihrer globalen Verbreitung bekannt. Wanderfalken kommen auf allen Kontinenten außer Antarktika vor, von Patagonien bis zu den Fidschi-Inseln, vom tropischen Afrika bis zur arktischen Tundra. "Es ist eine ökologisch sehr plastische Spezies", sagt Gamauf. Im baumlosen Norden brüten die sonst so höhenliebenden Tiere sogar auf dem Boden. In diesen Gebieten scheinen die Vögel allerdings Probleme mit dem Klimawandel zu haben. Einer aktuellen Studie im Fachblatt Oecologia zufolge könnte verstärkter Sommerregen in der kanadischen Arktis für einen Rückgang der dortigen Wanderfalkenpopulation verantwortlich sein. Nasses Wetter erhöht offenbar die Sterblichkeit der Nestlinge.

Für die heimischen Bestände hingegen sieht die Zukunft positiv aus. Nach Anita Gamaufs Einschätzung wird sich Falco peregrinus auch in Wien zum Brüten niederlassen. "Ich glaube, dass dies nur eine Frage der Zeit ist." Mögliche Nistplätze fänden sich auf den ehemaligen Flaktürmen im Augarten und anderen hohen Gebäuden. Man darf gespannt sein. (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 23.4.2014)