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Es besteht eine Sehnsucht nach sogenannten alten Sorten - egal wie es damals wirklich geschmeckt hat.

Foto: apa/pleul

Es gab vor einigen Jahren eine Ausstellung im Wien-Museum mit dem Titel "Wien, die Stadt, die niemals war". Ein genialer Titel für ein Phänomen, das die Tatsache beschreibt, dass das alte, frühere Wien viel besser gewesen sei als das aktuelle. Nur dass dieser Stoßseufzer zu jeder Epoche der Stadt zu hören war - und damit eindrucksvoll bewiesen ist, dass "die Stadt niemals war". Die seltsame Lust am Alten, am Ehemaligen begleitet uns Menschen anscheinend.

Dabei vergessen wir gerne, dass das, was wir vermissen, auch einmal nicht da war oder selbst etwas Vorheriges ersetzt hat. Immer war irgendetwas neu, bevor es alt wurde und letztendlich vermisst wird. Und beim Gemüsehändler und im Garten ticken wir Menschen offensichtlich genauso.

Sehnsucht nach alten Sorten

Was für eine Sehnsucht nach sogenannten alten Sorten da besteht, mutet ja schon nahezu grotesk an. Findige Marketingtüftler und windige Namensfinder überschlagen sich nachgerade, wenn es darum geht, eine mehlige, krampensaure, lederhäutige Apfelsorte zu vermarkten. Holzige Radieschen, die mit Recht nicht mehr gezogen wurden, feiern fröhliche Urständ', weil sie angeblich oder auch wirklich so in Omas Garten wuchsen. Alle Omas, so liest man heute, hatten Gärten voll Gemüse und Obst, das schmeckte.

Die Zwetschken des Autors Uroma waren, vom Baum gepflückt, frei von Patina, mehlig, wurmig und meistens sauer. Flitzen garantiert. Und auch schon früher und davor, viel früher und noch ehemaliger, haben Pflanzenkundige begonnen, besser schmeckende Sorten zu züchten. Sorten, die länger halten, Sorten, die weniger parasitenanfällig sind, und Sorten, die keine unerwünschten Nebenwirkungen hatten.

Zucht und Sorte

Die Zucht war einst weniger technologisiert, und trotzdem wurden die verrücktesten Experimente gemacht, um einer neuen Sorte einen eigenen Namen geben zu dürfen. Und was neu war, wurde alt, neues Neues wurde nachgereicht und veraltete wiederum. Das Ergebnis nennt man Fortschritt. Alt und neu können ergo keine Werte bei einer Züchtung sein.

Vielmehr scheint es der Bedarf nach ständig Neuem zu sein, der den Wunsch nach alten Sorten aufkeimen lässt. Gibt es nur Neuzüchtungen in den Regalen, wächst der Wunsch nach Altem. Gäbe es nur alte Sorten in den Gärtnereien und Obstgeschäften, würde mit Begeisterung zu einer neuen Züchtung gegriffen werden. Distinktiongewinnlertum, wohin man auch schaut.

Berechtigung haben beide am Markt, alte wie neue Züchtungen. Und der Obst und Gemüse verzehrende Gartler hat es in der Hand, was wer in sich und seine Erde hineintut. Aber bitte nicht bewerten oder sich deswegen besser fühlen. (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 25.4.2014)