Die Demokratie-Farce eines Ämtertauschs nach dem Vorbild von Wladimir Putin und Dmitri Medwedew in Russland bleibt den Türken erspart: Der noch amtierende Staatspräsident Abdullah Gül will nicht den Protokoll-Premier für Tayyip Erdogan spielen. Der türkischen Demokratie täte das nicht gut, erklärte Gül. Ob ihr die Wahl des machtberauschten Premiers Erdogan zum neuen Präsidenten besser tut, sagte er nicht.

Für Tayyip Erdogan, dem seit elf Jahren regierenden Premier, ist damit die Bahn frei: Sein Sieg bei der ersten Direktwahl eines Präsidenten im August gilt als sicher; die Installierung eines schwachen Regierungschefs, der Erdogans Anweisungen erfüllt, ist absehbar. Mit einer Staatsspitze, die nur noch auf den Willen eines Mannes zugeschnitten ist, wird die Türkei noch ein Stück autoritärer. Eine Mehrheit der Türken findet das auch in Ordnung oder nimmt es zumindest hin. Ihre Prioritäten liegen anderswo: Konsum, eigene vier Wände, stabile Wirtschaft.

Doch Erdogans größtes Problem heißt Erdogan. Um zu regieren, braucht er Feinde. Seine Lust zu provozieren, seine Kampfansagen gegen die Jugend, die nicht religiös sein will, gegen das Internet, unbotmäßige Unternehmer oder kritische EU-Kommissare sind ein fatales Rezept für die Türkei. Vom Reformer, der dem Land unterm Strich mehr Demokratie brachte, hat sich Erdogan zum Autokraten gewandelt, der Wahlen gewinnt, aber die Zukunft verliert. (DER STANDARD, 22.4.2014)