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Fußball spielt nicht nur zur Entspannung eine wichtige Rolle in der ukrainischen Krise. 

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Oleg Blochin brachte Dynamo Kiew trotz 46 investierter Euro-Millionen nie so richtig auf Touren, nach einem 0:2 gegen Schachtar Donezk letzte Woche musste er gehen. Dem hinter Dnipropetrowsk und Schachtar auf Platz drei liegenden Rekordmeister droht erneut die Erniedrigung der Europa-League-Teilnahme.

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Kiew/Wien - "Der Sommer ist super hier, wir haben seit zwei Monaten angenehme 28 Grad." Markus Berger geriet ins Schwärmen. Der österreichische Fußballprofi von Tschernomorez Odessa pries die Schönheiten der Hafenmetropole, lobte den Professionalismus seines Arbeitgebers, zeigte sich angetan von den Standards in der ukrainischen Premyer Liga. Das war im August 2013.

"Die Situation war für mich und meine Familie unerträglich. Die Lage ist extrem angespannt, man kann sich das gar nicht vorstellen." Berger im März 2014. Wenig später verlässt der 29-Jährige das Land, Hals über Kopf, im eigenen Wagen, mit Frau und Kind.

Binnen wenigen Monaten ist nichts mehr, wie es war. Auch im ukrainischen Fußballgetriebe. Denn dort, wo noch vor kurzem Milch und Honig flossen, ist die große Verunsicherung eingezogen. Die unübersichtliche Lage - politisch wie wirtschaftlich - hat nicht nur Berger, sondern eine ganze Reihe von Legionären zur Abreise veranlasst.

Doch damit fangen die Schwierigkeiten erst an. Die Erstligisten von der Krim, FK Sewastopol und Tawrija Simferopol, 1992 erster ukrainischer Meister, werden nach Abschluss der Saison mutmaßlich in den Schoß des russischen Verbandes wechseln. Die Zukunftsaussichten anderer Vereine sind aufgrund finanzieller Engpässe düster. Arsenal Kiew ist schon seit November von der Bildfläche verschwunden.

"Ich kann die Prozesse nicht beeinflussen und versuche mich so gut wie möglich auf meinen Job zu konzentrieren", sagte Aleksandar Dragovic, dem unlängst bei Dynamo Kiew nach einem 0:2 gegen Schachtar Donezk auch noch Trainer Oleg Blochin abhandengekommen war. Österreichs teuerster Fußballer dürfte damit vielen einfachen Bürgern aus der Seele sprechen.

Mehr denn je erscheint die Ukraine als zerrissenes Land auf der Suche nach sich selbst - und insofern wäre ja eigentlich doch alles beim Alten. Der Fußball, schreibt der Schriftsteller Serhij Zhadan in seinem Buch Totalniy Futbol, ersetzt "offenbar sehr erfolgreich die nationale Idee. Ohne dass man sagen könnte, ob das nun gut oder schlecht ist."

Die Protestbewegung auf dem Kiewer Maidan war in vollem Gang, als Oleh Tjahnybok, Chef der rechtsextremen Swoboda-Partei, im Jänner deklamiert: "Lasst uns den heroischen Fußballfans applaudieren. Hier beginnen Solidarität und Patriotismus!" Urplötzlich waren die kurzgeschorenen Schmuddelkinder mitten drinnen im demokratischen Aufbegehren gegen das Regime von Präsident Wiktor Janukowitsch. Die Mission der Ultras war es, Demonstranten vor den Tituschki, den regierungsnahen Schlägertrupps, zu schützen.

Für Unteilbarkeit vereint

Und nicht nur die mit Swoboda sympathisierenden Anhänger von Karpaty Lwiw, sondern auch jene aus Dnipropetrowsk, Charkiw und Donezk mischten mit. Gruppen, die sich sonst in rechtschaffenem Hass verbunden sind. War man zu diesem Zeitpunkt noch bemüht, eine politische Positionierung zu vermeiden, änderte sich das wenig später im Zuge der Ereignisse auf der Krim. "Unsere Aufgabe ist es, zu zeigen, dass die Ukraine vereint und unteilbar ist", hieß es in einem Statement von Ultras aus Dnipropetrowsk und Simferopol. Letztere ließen in sozialen Netzwerken keinen Zweifel daran, dass sie den Anschluss der Krim an Russland ablehnen.

Nun, da die Wirren auch auf die großen Städte des Ostens übergegriffen haben, scheint nicht einmal mehr Schachtar, dem Flaggschiff des ukrainischen Fußballs, ruhige See garantiert. Acht Meisterschaften gewann der Klub seit 2002, zuletzt vier in Folge.

Seinem Präsidenten Rinat Achmetow gelang der Drahtseilakt um den Erhalt von Macht und Einfluss von allen ukrainischen Oligarchen bisher am erfolgreichsten. An seiner Person wird beispielhaft sichtbar, wie die Grenzen von politischer Macht, ökonomischem Fortkommen und sportlichem Erfolg bis zur Unkenntlichkeit verwischt sind. Schließlich war es Achmetow, der die Partei der Regionen als politisches Vehikel zur Durchsetzung seiner Interessen etablierte und Janukowitsch zum ersten Mann des Staates hochpäppelte.

Was Achmetow für den gedeihlichen Fortgang seiner Geschäfte zuallerletzt brauchen kann, sind unsichere Verhältnisse. Und so laviert der reichste Mann des Landes zwischen den Fronten, verurteilt "Gewalt und Gesetzlosigkeit von außen" und fordert andererseits Verständnis für die Nöte der Menschen im Donbass. Vor einem von prorussischen Aktivisten besetzen Verwaltungsgebäude spielte der sonst so öffentlichkeitsscheue Milliardär gar die Rolle des Vermittlers.

Wie schnell die Dinge aus dem Ruder laufen können, zeigt sich an Metalist Charkiw. Der Vizemeister taumelt der Insolvenz entgegen, seit Besitzer Sergej Kurtschenko infolge des Aus für Janukowitsch verschwand. Metalist, das noch im Sommer der Stadt das EM-Stadion um 64 Millionen Euro abkaufte, kann plötzlich Gehälter nicht mehr zahlen. Nun hofft man auf Rettung durch Oleksandr Jaroslawskyj. Jenen "Achmetow mit J" Genannten, der den Klub groß gemacht hat, 2012 aber unter politischem Druck zum Verkauf gedrängt worden war. (Michael Robausch, DER STANDARD - 22.4. 2014)