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Der Handelsraum einer Börse als fairer Umschlagplatz von Wertpapieren? Von wegen, warnt Michael Lewis. Manipulierte Märkte, die Ausnutzung von Millisekunden Vorsprung und ein Wettrüsten um Programmierer und Rechenleistung kennzeichnen die heute fragmentierten Börsenplätze.

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Michael Lewis: "Flash Boys". Campus-Verlag 2014, 24,99 Euro.

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New York / Wien - Zeit ist Geld, gerade an der Wall Street. Beim Handel mit Aktien, Währungen oder Anleihen ist auch sehr wenig Zeit sehr viel Geld wert. Warum sonst sollte ein Investor knapp 300 Millionen Dollar für das Verlegen von Glasfaserkabel zwischen Chicago und New Jersey ausgeben, damit die Daten um nur einige Tausendstel einer Sekunde schneller ankommen? Wieso müssen Infos zwischen New Jersey und Chicago in 12,5 Millisekunden reisen?

Um andere, langsame Investoren abzuzocken, lautet die Antwort von Michael Lewis in seinem Buch Flash Boys - Revolte an der Wall Street. Geht es nach dem populären Bestsellerautor, sind die Finanzmärkte längst manipuliert, und räuberische Turbohändler verdienen Milliarden auf Kosten einfacher Privatanleger und institutioneller Investoren wie Fonds oder Banken. Denn wenn ein Kleinanleger bei seiner Direktbank eine Order über 10.000 Dollar abgibt oder ein Investmentfonds 100.000 Aktien von General Electric verkaufen möchte und seine Order an Börsenplätze wie die Nyse oder Bats schickt, wird er von den Turbohändlern überholt - und bekommt einen schlechteren Preis gestellt. Laut Studien kann allein das systematische Ausnutzen von Preisunterschieden zwischen Chicago und New York jährlich 20 Milliarden Dollar an Profiten bringen.

Das dokumentiert Lewis zusammen mit dem Helden seines Buches, Brad Katsuyama, einem freundlichen Kanadier, den Lewis als Antithese zum gierigen Wall-Street-Banker stilisiert. Katsuyama hat bei der Royal Bank of Canada lange den Handelsbereich verantwortet und war einer der Ersten, die den Turbohandel als technische Revolution begriffen haben. Mittlerweile hat er den unabhängigen Börsenplatz IEX gegründet, der Hochfrequenzhändler aktiv ausschließt.

Selten hat ein Buch die Wall Street derart erschüttert. Seit Lewis seine literarische Breitseite gegen die Hochfrequenzhändler öffentlichkeitswirksam mit einem Interview in der Nachrichtensendung 60 Minutes gestartet hat, schimpfen Nobelpreisträger wie Joseph Stiglitz über den ökonomischen Unsinn des Turbohandels, und zur besten Sendezeit beflegeln einander Kritiker und Vertreter des schnellen Tradens im Finanz-TV CNBC.

Insiderhandel 2.0

Für die Hochfrequenzhändler (HFT) wird es eng. Nicht nur dass das FBI offiziell Ermittlungen eingeleitet hat und Whistleblower für mögliche Manipulationen sucht - der New Yorker Generalstaatsanwalt Eric Schneiderman bezeichnete HFT nach dem 60 Minutes-Interview von Lewis via Twitter als "Insider Trading 2.0". Gerade einmal zehn Tage später schickte der Generalstaatsanwalt Vorladungen an sechs Turbohändler. In den USA läuft seit Ausbruch der Finanzkrise eine große Kampagne gegen Insiderhandel, die zuletzt den milliardenschweren Hedgefonds SAC Capital gestürzt hat.

Die etablierten Börsenplätze und Investmentbanken sind von der neuen Technologie überrumpelt und werden von Lewis als völlig überfordert dargestellt. "Was zur Hölle? Das muss doch illegal sein!", wird etwa ein Wall-Street-Banker zitiert. Lewis beschreibt auch die Praktiken der Händler, etwa das Versenden von zigtausenden kleinen Orders, um unbedarften Investoren ihre Preisvorstellungen zu entlocken. Lewis' Buch treibt jedem Leser das längst überholte Bild von wild herumfuchtelnden Händlern auf dem Börsenparkett aus.

Lewis lässt in seinem Buch zudem Händler aufmarschieren, die hunderttausende Dollar zahlen, um noch ein paar Nanosekunden an Handelsgeschwindigkeit gutzumachen. Und er beschreibt einen Technologiekrieg, der relativ unbekannte Firmen wie Getco oder Virtu zu Schwergewichten auf dem Finanzmarkt gemacht haben.

Der Händler Virtu etwa hat in den vergangenen fünf Jahren nur an einem Handelstag einen Verlust erzielt. Die supersaubere Weste wollte das Unternehmen mit einem Börsengang in diesem Monat krönen. Doch die negative Publicity durch Flash Boys hat das Projekt auf Eis gelegt.

Die Kritiker kämpfen teilweise gegen Windmühlen. Die Nutzung von neuen Technologien und schnelleren PCs ist ein logischer Schritt. Experten der US-Notenbank Fed haben gezeigt, dass der Anteil von Algo-Trading auf dem Währungsmarkt auf bis zu 80 Prozent gestiegen ist. Im Jahr 2004 war der Markt nahezu inexistent. Der Name des Forschungspapiers ist bezeichnenderweise "Rise of the Machines". In dieser Tonart werde es weitergehen. Die US-Beratungsfirma Tabb-Group befragt regelmäßig Handelsexperten von Banken, Fonds und anderen Finanzplayern zu den Trends auf den Finanzmärkten. In Europa erwarten 96 Prozent der Befragten, dass sie ihren Einsatz von Algorithmen weiter steigern werden.

Zudem führen die Befürworter ins Feld, dass der Turbohandel auch seinen Nutzen hat. Denn seit Jahren fallen die Handelskosten für Aktien und Anleihen, und auch Privatanleger können heute günstiger kaufen und verkaufen als noch vor fünf Jahren. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 19.4.2014)