Legte soeben auch "Die Glut", sein erstes Album, vor: Alfred Goubran.

Foto: Matthias Cremer

Man könnte den jüngsten Roman Alfred Goubrans Durch die Zeit in meinem Zimmer als eine Art Heilsgeschichte lesen. Von einem Ich eingeführt, begegnen wir einem jungen Mann, von dem berichtet wird, wie er in seinem kleinstädtischen Milieu steckenbleibt, zu keiner Identität und trotz einiger amouröser Frauenbekanntschaften auch nicht zur Fähigkeit findet, tiefergehende Beziehungen einzugehen.

Wir sehen ihn stattdessen seiner Ziellosigkeit ausgesetzt mehr und mehr an den Rand der Obdachlosigkeit rutschen, sich mit kleinen Dealereien durchschlagen und fast völlig zurückziehen. Bis es schließlich zu einer unerhörten Begebenheit kommt, als ein Bekannter sechs Säcke mit "Gras" bei ihm zwischenlagert, diese aber nicht mehr abholt. Elias ergreift die Gelegenheit und kommt so zu Geld. So weit die Geschichte bis zum Ende des ersten der fünf Kapitel des etwa 200-seitigen Romans.

Danach tritt Elias eine Reise an und will ans Meer, über die Grenze, hinaus, doch wird er bald spürbar, dass er zwar aufbrechen, es aber zu keinem wirklichen Grenzübertritt kommen wird. Zunächst ist es der Zufall in Form eines Steinschlags, der ihn auf der Passstraße Richtung Grenze aufhält.

Elias bleibt eine Nacht in dem ganz wie er selbst eigenartig identitätslosen Passort und versucht dann auf eigene Faust weiterzukommen und zu Fuß die Grenze zu erreichen: Und er verirrt sich. An dieser Stelle scheint sich das Erzählte in einen anderen Raum zu bewegen. Elias gerät in die bedrohliche und zugleich verlockende Welt des Waldes.

"Wir beklagen den Verlust der Wildnis, übersehen aber gerne dabei, dass wir es sind, in denen die Wildnis abnimmt und von Vorstellungen und moralischen Zurüstungen verbaut ist", heißt es einmal. Elias scheint im Wald auch nicht wirklich in die Wildnis, stattdessen aber in eine suggestive Stille einzutreten, dem (vielleicht geheimen) Hauptthema des Buches. Und sie scheint eine latente Hoffnung auf einen anderen Zugang zur Geschichte und zum Selbst von Elias anzukündigen. Ähnliches ließe sich auch von der Stille behaupten, in die der zweite, zunächst anonyme Protagonist gerät.

Ein schwer Kranker, von dessen Schwächezuständen und Halluzinationen parallel zum Elias-Strang berichtet wird. In der Statik seines Krankenzimmers deutet sich eine Zeitreise an, die in die nächste Nähe des eigenen Körpers und in eine befremdlich nahe Ferne der eigenen Vergangenheit, nämlich vor allem zum Schemen des Vaters, führt.

Während in Elias' Reise eine Bewegung durch den Raum angelegt ist, die aber einer gewissen Statik nicht entbehrt. Elias begegnet im Wald dann zwei märchenhaften Figuren, einer im Gesicht alten und körperlich jung wirkenden Frau und einem buckligen Jungen mit blödem Blick, mit denen er Bekanntschaft macht und bei denen er übernachtet. Doch löst sich das Märchenhafte später auf, und man erfährt von der Krankheit, die zum alten Gesicht der Frau geführt hat.

Und auch das sogenannte "schwarze Schloss", die in diesem Roman letzte Station von Elias' Reise durch die Zeit, hat etwas kulissenhaft Unechtes. Denn so nahe es sich auch an der Grenze, nämlich in einem Quasi-Niemandsland zwischen den Grenzen befindet, so wundersam neugierig, erzählbereit und offen die Frau, der Elias dort begegnet, auch auf ihn zugeht, und so sehr Elias auch vorübergehendes Obdach als Bibliothekar bei ihr erhält: Er berührt auch dort im Schloss die Wildnis nicht und bleibt diesseits der Grenze, zwar deutlich heiterer als zu Beginn, aber doch im Unbestimmten.

Doch bleibt noch auf einen wesentlichen, erzähltechnischen Clou dieses Textes hinzuweisen: Denn in der Elias-Erzählung zeichnet sich immer mehr ab, dass die andere Krankengeschichte von niemand anderem als von ihm selbst erzählt sein kann. Was eine Art erzählerische Möbiusschleife ergibt, eine auf sich selbst verweisende Erzählstruktur. Die letztlich die beiden Ebenen von "ich" und "er", von Krankem und Reisendem ineinanderblendet, wodurch die Geschichte wieder zurück aus ihrer Gegenwart in sich selbst verweist, wie eine Schnecke, die sich verkriecht und wieder aus sich herausschlüpft.

Weshalb die Lehre, die Elias einmal skizziert, die Option zulässt, ihr blind zu glauben und die Erzählung als ihren Beweis zu sehen oder sie aber radikal infrage zu stellen: "Nehmen wir an, es gäbe eine Bank in einem Park, auf die ich mich jeden Nachmittag setzte. Wenn ich mich, im Bett liegend, dieser Körperhaltung erinnere, kann ich auch sehen und hören, was in diesem Park vorgeht. Und zwar jetzt, obwohl ich kilometerweit davon entfernt bin. So kann ich auch in das Haus meiner Eltern zurückkehren und sehen, was dort vor sich geht. Oder in Wolfgangs Jazzcafé. Voraussetzung, dass die Übung gelingt, ist ein geschwächter Körper, etwa durch Fasten oder Krankheit. Dieses 'Sehen' hat immer etwas Halluzinatives. Das weiß ich heute. Damals kam ich diesem Phänomen erstmals auf die Spur, zufällig (...), und ich habe es nicht weiterverfolgt. Ich habe mich mit dem Körpergefühl der Gleichzeitigkeit, diesem Zustand der Verdoppelung, begnügt und bin nie weiter gegangen, (... )." (Michael Hammerschmid, Album, DER STANDARD, 19./20.4.2014)