"Es reicht nicht mehr, dass hinter der Bühne jemand steht und einmal gelbes, dann grünes und rotes Licht aufschaltet. Klick, klack! Das ist zu wenig", sagt Zirkusdirektor Louis Knie jun.

Foto: Cremer

Beim Training mit den Pferden: "Die Leute fragen schon jeden Tag danach: Habt ihr Elefanten? Habt ihr Raubkatzen?"

Foto: Cremer

derStandard.at: Was macht guten Zirkus aus?

Knie: Die viele Arbeit, die dahinter steckt. Dazu gehört eine gute Lichtshow und die Musik, da muss man mit der Zeit gehen. Heutzutage ist alles anders. Der Clown mit der großen roten Nase...

derStandard.at: ... genügt nicht mehr?

Knie: Natürlich geht das noch. Auch die Schminke ist wichtig. Die Kinder sehen das gerne. Wir sind ein traditioneller Zirkus, aber der Clown ist trotzdem moderner geworden.

derStandard.at: Lachen Kinder heute über etwas anderes als früher?

Knie: Heute machen die Clowns sehr viele Späße, in die sie die Zuschauer einbinden. Das Publikum liebt es, wenn jemand aus dem Publikum herausgeholt und ein bisschen verarscht wird. Besonders in Österreich wird das sehr gewünscht. Nur arrogant darf der Clown dabei nicht wirken.

derStandard.at: Hat sich das Publikum verändert?

Knie: Die Menschen sind verwöhnt. Wenn auch nur der Sound nicht passt, merken sie es sofort. Oder es ist ihnen heute auch wichtig, dass es gutes Licht gibt. Es reicht nicht mehr, dass hinter der Bühne jemand steht und einmal gelbes, dann grünes und rotes Licht einschaltet. Klickklack! Das ist zu wenig.

derStandard.at: Wie viele Zirkusse gibt es weltweit noch?

Knie: Es gibt viel zu viele. Alleine in Österreich sind es rund 30. Die allermeisten sind ganz kleine Betriebe: Vater, Mutter, zwei Kinder, die mitarbeiten, und dazu vielleicht ein, zwei Arbeiter. Aber dennoch: Sie kommen in die Städte, plakatiert wie ein Großzirkus, nur zeigen sie dann natürlich nicht so viel - was ist die Folge? Die Leute sind enttäuscht. Für mich ist es viel besser, wenn vor mir in Wien zum Beispiel der Zirkus Roncalli oder der Cirque du Soleil gastiert. Denn da sagen die Besucher: "Woah! Das war super!"

derStandard.at: Sind Events wie Cirque du Soleil also gut für ihr Geschäft?

Knie: Ja. Wenn Sie in einem Lokal gut gegessen haben, und es gibt ein ähnliches, dann probieren Sie dieses Lokal doch auch aus, oder? Zumindest, wenn es Ihnen im ersten wirklich geschmeckt hat.

derStandard.at: Zirkus ist also kein sterbendes Gewerbe?

Knie: Nein. Natürlich ist es für den Zirkus schwerer geworden. Das Interesse des Publikums ist nicht mehr so da wie einst, als es kein Fernsehen und keine Gameboys gegeben hat. Früher war der Zirkus in der Stadt ein absolutes Highlight. Man musste einfach in den Zirkus gehen.

derStandard.at: Gibt es Länder, in denen der Zirkus heute noch besonders lebendig ist?

Knie: Ja, natürlich. Der Zirkus Knie in der Schweiz ist einer, der noch am besten läuft. Der muss gar nicht erst Plakate affichieren. In Zürich zum Beispiel, da gastieren sie einen Monat lang und sperren nicht einmal erst die Kassa auf, weil alle Karten ohnehin schon längst weg sind. 

derStandard.at: In welche Länder brauchen Sie gar nicht erst zu fahren?

Knie: Großbritannien ist schwer geworden. Ich glaube, dort wurde der Markt von den Zirkussen selbst kaputt gemacht: Die boten immer weniger Attraktionen, am Abbautag war schon die Hälfte verstaut, das ist einfach unseriös.

derStandard.at: Was ist die größte Konkurrenz für den Zirkus?

Knie: Ich würde schon sagen: das Fernsehen.

derStandard.at: Sie haben jetzt als besondere Attraktion ein sogenanntes Todesrad, in dem zwei kolumbianische Artisten gegen enorme Fliehkräfte Kunststücke vollführen. Muss ein Zirkus immer mehr Spektakuläres bieten, damit die Leute kommen?

Knie: So etwas wie das Todesrad ist eine Sache, die zieht. Das will das Publikum sehen. Das Hochseil ist auch sehr gut. Grundsätzlich müssen wir uns immer etwas Neues ausdenken, worüber die Leute dann sprechen. Vergangenes Jahr war es die sogenannte Todeskugel mit den Motorrädern.

derStandard.at: Ist das seit 2005 bestehende Verbot für Wildtiere im Zirkus für Sie ein Problem?

Knie: Nicht wirklich. Aber die Leute fragen schon jeden Tag danach. Habt ihr Elefanten? Habt ihr Raubkatzen? Als Kind habe ich zu Beginn mit Elefanten gearbeitet. Das fehlt mir schon. Ich bin ja mit diesen Tieren aufgewachsen.

derStandard.at: Leben Ihre Elefanten noch?

Knie: Ja, die sind in der Schweiz bei meiner Familie. Wenn ich Zeit habe, besuche ich sie. Die kennen mich immer noch, denn: Ein Elefant vergisst nie!

derStandard.at: Spielt ihre eigene Familie im Zirkusleben mit?

Knie: Alle machen mit. Meine Tochter trainiert die Pferde, mein achtjähriger Sohn probiert momentan Akrobatik, aber er hat noch nicht das gefunden, was er genau will. Meine Frau ist auch da. Und dann gibt es natürlich unser Baby. Aber das trinkt derzeit noch aus seinem Flascherl.  

derStandard.at: Sollen oder müssen die Kinder den Zirkus einmal übernehmen?

Knie: Was ich schon sagen muss: Die Schule ist sehr wichtig. Wir haben einen eigenen Lehrer für unsere insgesamt drei schulpflichtigen Zirkuskinder. Zur Übernahme kann ich nur sagen: Wir hoffen. Natürlich. Das wäre mir wichtig.

derStandard.at: Nervt ihre Kinder das Zirkusleben nicht?

Knie: Nein. Die Kinder haben Energie. Wenn die Schule aus ist, rennt meine Tochter in den Stall und striegelt die Pferde. Das müsste sie nicht. Sie muss eigentlich gar nichts - außer in die Schule gehen.

derStandard.at: Freundschaften zu knüpfen muss schwierig sein, wenn so viel gereist wird.

Knie: Nehmen Sie als Beispiel Wien. Seit wir hier unser Zelt aufgebaut haben, kommt jeden Tag ein anderes Kind zu Besuch, das meine Tochter vergangenes Jahr bei unseren Sommercamps kennengelernt hat. Heuer gibt es wieder die Zirkusschule in Wien. Da kommen 180 Kinder für drei Wochen zu uns.

derStandard.at: Zum Schluss noch: Haben die Menschen nach wie vor eine romantisierte Vorstellung über das Zirkusleben?

Knie: Ja, ich denke schon. Die wissen nicht, was hinter einem guten Zirkus alles steckt. Morgens gibt es einer Art Besprechung mit den rund 50 Mitarbeitern. Bis Mittags laufen dann die Tierproben. Nach dem Mittagessen wird weiter trainiert. Um 16 Uhr findet die erste Vorstellung statt, abends folgt noch eine. Und erst um zehn, halb elf Uhr ist unser Arbeitstag zu Ende. (Peter Mayr, derStandard.at, 21.4.2014)