Bild nicht mehr verfügbar.

Gerhard Grobelnik ist seit 22 Jahren Schiedsrichter, in sieben Jahren soll Schluss sein.

Foto: APA/Robert Parigger

derStandard.at: Als Schiedsrichter ist man selten der Beliebteste auf dem Platz. Wie kommt man dennoch auf die Idee, den Job zu ergreifen?

Grobelnik: Mein Vater war auch Schiedsrichter, er hat mich häufig zu Spielen mitgenommen. Wenn einmal ein Assistent ausgefallen ist, bin ich eingesprungen - das erste Mal im Alter von zwölf Jahren. Es war dann ein Selbstläufer, dass ich auch Schiedsrichter geworden bin. Obwohl es für mich eigentlich nie in Frage gekommen wäre. Mit 16 habe ich die Prüfung abgelegt. Mein Vater hat nur bis zur Wiener Liga gepfiffen, da hat man keinen Einblick in den Profifußball. Beschimpfungen gab es da nur im kleinen Rahmen. In der Bundesliga beschimpfen dich tausende Leute. Zudem hat man die Medien gegen sich. Ich hätte mir nicht vorstellen können, wie sich das entwickelt. Darauf kann man sich nicht wirklich einstellen.

derStandard.at: Wird man Schiedsrichter, wenn man als Fußballer nicht gut genug ist?

Grobelnik: Das gibt es teilweise. Meistens sind Schiedsrichter aber ehemalige Fußballer, die aufgrund von Verletzungen etwa am Knie, die beim Schiedsrichtern nicht behindern, aufhören. Wir haben sicher einige Schiedsrichter, die in jungen Jahren in der Bundesliga hätten spielen können. Es ist dann lustig, wenn diese von Trainern gefragt werden: "Warum sehen Sie das nicht? Haben Sie nie Fußball gespielt?"

derStandard.at: Muss man als Schiedsrichter ein Gerechtigkeitsfanatiker sein?

Grobelnik: Nein, das wäre vielleicht sogar kontraproduktiv. Wenn beispielsweise die spielerisch bessere Mannschaft in Rückstand gerät, könnte sich der Gerechtigskeitsfanatiker denken, jetzt muss ich helfen, dass sie nicht verliert.

derStandard.at: Wie geht man mit Kritik um?

Grobelnik: Es gibt Typen, denen das sehr nahegeht und die sich lange damit beschäftigen, und gibt es Typen, denen das völlig egal ist. Mit der Zeit wird man extrem abgehärtet. Am Anfang hat mich die Kritik in den Zeitungen sehr gestört. Wenn hingegen die Fans Schimpfereien hineinschreien, stört mich das nicht. Die Fans stehen häufig unter Alkoholeinfluss, die Medien nicht.

derStandard.at: Was ist mit Kritik von Trainern oder Spielern?

Grobelnik: Früher hat es mich sehr gestört, wenn Trainer nach Niederlagen die Schuld bei mir und nicht bei ihren Spielern gesucht haben. Da habe ich reihenweise Trainer auf die Tribüne geschickt, wenn sie versucht haben, mich in bestimmten Situationen verantwortlich zu machen. Auch aus Selbstschutz. Wenn kein negativer Einfluss vom Spielfeldrand kommt, habe ich mehr Ruhe, um Situationen besser beurteilen zu können. Jetzt bin ich viel ruhiger. Ich sehe es nicht mehr so eng, wenn sich ein Trainer ein bisschen aufregt.

derStandard.at: Was ist, trotz aller Kritik, der Reiz am Schiedsrichterjob?

Grobelnik: Es ist die Herausforderung, fehlerlos oder nahezu fehlerlos zu sein. Ich will so viele Entscheidungen wie möglich treffen, die richtig sind.

derStandard.at: Braucht man als Schiedsrichter psychologische Betreuung?

Grobelnik: Es gibt Schiedsrichter, die das in Anspruch nehmen. Ich persönlich habe das noch nicht gebraucht.

derStandard.at: Wären Sie gerne hauptberuflich Schiedsrichter?

Grobelnik: Wenn es finanziell lukrativ wäre und wenn man auch für die Zeit nach der Schiedsrichterkarriere vorgesorgt hätte, dann natürlich. Wir leben jetzt schon wie Profischiedsrichter. 

derStandard.at: Gibt es ein Nachwuchsproblem im Schiedsrichterwesen?

Grobelnik: Ja. Welcher normale Mensch will Schiedsrichter werden? Früher waren Schiedsrichter eher Arbeiter, bei der Post oder bei der Bahn. Jetzt sind sie häufig Akademiker. Der Job ist ziemlich zeitaufwendig, man braucht flexible Arbeitszeiten. Ich arbeite Vollzeit als technischer Angestellter bei Siemens. Als ich in die Bundesliga gewechselt bin, musste ich die Abteilung wechseln, weil Beruf und Schiedsrichterei nicht mehr vereinbar waren. Die Schiedsrichterei ist ein Hobby, davon alleine kann man nicht leben. Ich bekomme 1.050 Euro brutto pro Spiel. Im Jahr pfeife ich ungefähr 15 Spiele.

derStandard.at: Stimmt der Satz: "Der Schiedsrichter ist dann am besten, wenn er nicht auffällt?"

Grobelnik: Nein. Das ist eine Floskel, die Leute erfunden haben, die mit der Schiedsrichterei nicht viel zu tun haben. Wenn der Schiedsrichter korrekterweise zwei, drei Rote Karten oder Elfmeter gibt, fällt er ja trotzdem auf.

derStandard.at: Was war das skurrilste Spiel, das Sie je geleitet haben?

Grobelnik: Skurrile Spiele hatte ich eigentlich nicht wirklich. Im Herbst habe ich einmal drei Rote Karten gegeben, beim 5:3 von Innsbruck gegen Grödig. Ich hatte auch noch nie einen Abbruch. Das ist eher ungewöhnlich.

derStandard.at: Schauen Sie Fußballspiele privat anders als der gemeine Fußballfan?

Grobelnik: Ja. Ich sehe Spiele komplett emotionslos. Bei einem Foul oder einer vergebenen Torchance kommt bei mir kein Schrecken auf.

derStandard.at: Haben Sie einen Lieblingsverein?

Grobelnik: Als Schiedsrichter hat man dieses Fandenken nicht. Ich bin von keiner Fußballmannschaft Fan, auch nicht international. Ich bin schon komplett neutral. Früher hatte ich Vereine, die ich mochte. Aber mit der Zeit stumpft man total ab. Mir ist völlig egal, wer gewinnt und wie hoch wer gewinnt. Ich bin Fan der dritten Mannschaft. Meine Freunde halten mir die Daumen. Wenn einer ein schönes Tor schießt, jubelt der Fan. Wenn ich einen Elfmeter gebe, der angezweifelt wird, und in der Wiederholung sieht man, dass ich recht hatte, dann jubelt meine Fraktion. Man muss die Schiedsrichterseite leben, um zu sehen, wie unsere Sichtweise ist. 

derStandard.at: Wie oft sind Sie unsicher bei Entscheidungen?

Grobelnik: Man trifft zumindest die Hälfte der Entscheidungen aus dem Bauch oder aus der Erfahrung heraus und nicht, weil man sich hundertprozentig sicher ist. Es geht so schnell, dass man gar nicht wahrnehmen kann, was passiert. Man muss die Entscheidung dann so rüberbringen, dass man davon überzeugt ist. Das ist die Kunst. Oft erkennt man an der Reaktion der Spieler, was richtig oder falsch ist. Wenn ein Spieler versucht, immer das Beste für sich herauszuholen, hat es der Schiedsrichter noch schwerer. Solche Spieler gibt es aber wenige.

derStandard.at: Sind Sie für den Videobeweis?

Grobelnik: Ich bin nicht dagegen. Ob er kommt oder nicht, ist mir grundsätzlich egal. Für mich würde sich durch den Videobeweis nicht wirklich etwas ändern. Ich hätte nichts dagegen, wenn meine Entscheidungen kontrolliert werden würden.

derStandard.at: Für welche Entscheidungen würden Sie den Videobeweis als sinnvoll erachten?

Grobelnik: Tor oder nicht Tor. Bei Abseitsentscheidungen könnte er sinnvoll sein, wenn die Kameras gut positioniert sind. Und für alle Entscheidungen, die im Strafraum passieren. Aber wenn der Videobeweis keinen hundertprozentigen Aufschluss gibt, ist es noch immer Sache des Schiedsrichters, eine Entscheidung zu finden. 

derStandard.at: Die Vienna hat kürzlich den Schiedsrichter nach einer Fehlentscheidung geklagt. Wie verändert es den Job, wenn man weiß, dass man geklagt werden kann?

Grobelnik: Ich weiß nicht, wie nahe dem Schiedsrichter die Sache geht. Es ist ein Jammer, dass es so weit kommt.

derStandard.at: Sind Sie schon einmal bezüglich Spielmanipulation angesprochen worden?

Grobelnik: Nein. Ich wüsste auch nicht, wie ich ein Spiel manipulieren sollte. Wenn man es macht, wird es wahrscheinlich so auffällig sein, dass man es nur ein- oder zweimal macht. Ich glaube, der Schiedsrichter ist der schlechteste Ansprechpartner, wenn man ein Spiel drehen will. Und wenn ich schlechte Beurteilungen erhalte, bekomme ich weniger Spiele.

derStandard.at: Sind Sie schon von Fans bedroht worden?

Grobelnik: Gott sei Dank nicht. Ab und zu wird man von Fans abgepasst und beschimpft. Aber angegangen ist mich noch keiner. Als Wiener habe ich es einfacher, da ich nie Spiele von Rapid oder Austria, außer bei Derbys, pfeifen darf. Ich stehe damit nicht so oft in der Kritik. Wenn ich Admira gegen Wiener Neustadt pfeife, interessiert das keinen Menschen.

derStandard.at: "Schiri, wir wissen, wo dein Auto steht", singen Fans gelegentlich. Wo parken Sie Ihr Auto bei einem Spiel?

Grobelnik: Wenn es einen eigenen Schiedsrichterparkplatz gibt, dann da, ansonsten auf einem öffentlichen Parkplatz. Es stört mich nicht, wenn die Fans wissen, wo mein Auto steht. Aber ich glaube nicht, dass sie wissen, wo der Schiedsrichterparkplatz ist. Mein Auto ist noch nie beschädigt worden. In Wiener Neustadt stehen vielleicht 14 Autos – da interessiert niemanden, wo mein Auto steht. Wenn man Austria oder Rapid pfeift, kann das schon anders sein. (Birgit Riezinger, derStandard.at, 17.4.2014)