Kollegen mit unterschiedlichem Bedürfnis nach Anerkennung: Fabrice Luchini (li.) und Lambert Wilson in Philippe Le Guays "Molière auf dem Fahrrad".

Foto: Thimfilm

Wien - Früher war er ein gefeierter Schauspieler, nun lebt Serge Tanneur auf der Île de Ré, der französischen Atlantikinsel. Ein wenig schroff wie sein Umfeld ist er selbst: Zum Theater und Film, diesem schmutzigen Geschäft voller vulgärer Menschen, sagt er, wolle er nicht mehr gehören. Harsche Worte, aber sie zeigen bereits das innere Prinzip der Filmkomödie Molière auf dem Fahrrad (Alceste à bicyclette) auf: Wen man im Leben spielt und welche Rolle im Theater, sind nicht unbedingt zwei Paar Schuhe.

Gauthier Valence reist aus Paris an, um seinem Kollegen einen Part in Molières Menschenfeind zu offerieren. Nicht unbedingt den berüchtigt grummeligen Alceste selbst, die zentrale Figur des Stücks und Glanzrolle für jeden Schauspieler. Eher an die zweite Geige Philinte habe er, nicht ganz uneigennützig, gedacht. Damit Tanneur jedoch nicht gleich zu Beginn abspringt, einigt man sich auf eine Probezeit - jeder der beiden darf mal den einen, mal den anderen spielen, manchmal auch auf dem Fahrrad. Und wie um die Nähe zwischen realen und fiktiven Identitäten zu betonen, wechseln die Dialoge sanft, fast unmerklich in Alexandriner über.

Eigensinnige Antipoden

Molière auf dem Fahrrad, unauffällig, aber elegant inszeniert von Philippe Le Guay, zeichnet sich vor allem durch seine außerordentlichen Hauptdarsteller aus, welche die beiden Antipoden mit eigensinnigen Zügen und hübschen charakterlichen Details versehen. Fabrice Luchini ist jüngst durch seine Filme mit François Ozon (Das Schmuckstück / Potiche und In ihrem Haus) aufgefallen, bekannt wurde der mit unrunden, ins Neurotische neigenden Figuren hervorstechende Mime bereits durch seine Arbeit mit Eric Rohmer in den 1970- und 80er-Jahren; in Frankreich ist Luchini überdies oft im Theater zu sehen.

Als dünnhäutiger, menschenscheuer Schauspieler kann er wunderbar mürrisch und indigniert reagieren, wenn das Handy seines Partners mitten in der Leseprobe zu läuten beginnt. Zugleich zeigt er als Alceste, zu welchem Nachdruck er in der Lage ist. Am berückendsten sind jedoch jene Momente, in denen er das Kostüm der Unnahbarkeit kurz ablegt: etwa im Auto, als ihn Francesca (Maya Sansa) - die Célimène Moliéres - mitnimmt und er schüchtern den Italo-Evergreen Il Mondo mitzusingen beginnt.

Lambert Wilson, zuletzt eher in ernsteren Rollen wie in Xavier Beauvois' Film Von Menschen und Göttern zu sehen, meistert die vielleicht noch schwierigere Aufgabe mit Bravour: Er verkörpert einen Schauspieler, der über mehr Charisma als Talent verfügt. Anders als Serge bezieht Gauthier aus der Anerkennung der Leute - er ist gegenwärtig Star einer TV-Ärzteserie - erst seine Bestätigung.

Wie es dem französischen Kino mit Molière auf dem Fahrrad nonchalant gelingt, nationales Kulturgut in populäre Formate zu übersetzen, ohne es komplett zu verwässern, ist überdies beachtlich. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 17.4.2014)