Wolfgang Moitzi über die Koalition: "Aus meiner Sicht hätten wir diese nie eingehen sollen."

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Im Gespräch mit derStandard.at kündigt Wolfgang Moitzi, Vorsitzender der Sozialistischen Jugend (SJ), einen zweistündigen Sitzstreik vor dem Unterrichtsministerium an. Am ersten Schultag nach den Osterferien sollen Schüler unter dem Motto "Wir sparen uns die ersten zwei Stunden" auf dem Wiener Minoritenplatz "ein Zeichen setzen". Außerdem fordert Moitzi die SPÖ auf, die Einführung der Vermögenssteuer voranzutreiben. "Dass man für Bildung und leistbares Wohnen kein Geld hat, gleichzeitig aber den Hypo-Gläubigern Milliarden zur Verfügung stellt, kann nicht die Lösung sein." Auf die Frage, ob die SPÖ die Koalition verlassen soll, wenn Vermögenssteuern nicht umgesetzt werden können, sagt Moitzi: "Ja. Aus meiner Sicht hätten wir diese nie eingehen sollen."

derStandard.at: War es für Sie eine große Überraschung, dass die Unterrichtsministerin bei den Schulen sparen will?

Moitzi: Nein, leider nicht. Obwohl der Bundeskanzler vor den Wahlen angekündigt hat, dass es zu keinen Sparpaketen kommt, war der Sozialistischen Jugend schon immer klar, dass sich das hinten und vorne nicht ausgehen kann. Dass man andererseits Geld für Banken in Milliardenhöhe in die Hand nimmt und nicht einmal andenkt, die Gläubiger stärker zur Kasse zu bitten, und dass man in der SPÖ nicht einmal ernsthaft diskutiert hat, die Hypo in die Insolvenz zu schicken, ist für die Leute schwer nachvollziehbar.

derStandard.at: Sie sehen für die SPÖ ein Rechtfertigungsproblem in der Öffentlichkeit?

Moitzi: Die Unterrichtsministerin hat gesagt, es brauche jetzt kreative Veränderungen im Bildungssystem. Ich glaube, da fühlen sich viele, auch innerhalb der Sozialdemokratie, nicht sehr ernst genommen, um nicht zu sagen verarscht. Bildung war der Sozialdemokratie immer ein Herzensanliegen. Im Wahlkampf hat man plakatiert, dass jeder mehr Bildungschancen haben soll. Es werden Prestigeprojekte wie das Teamteaching in der Neuen Mittelschule eingespart. Das schadet der Glaubwürdigkeit der SPÖ massiv und ist in der Öffentlichkeit auch nicht zu rechtfertigen.

Gerecht wäre es, wenn man darüber diskutiert, wer die Kosten der Krise zahlen soll. Sind es Schülerinnen und Schüler, oder wollen wir endlich über Vermögenssteuern zu mehr Einnahmen kommen? Seit dem Wahltag habe ich von der SPÖ nichts mehr dazu gehört.

derStandard.at: Der rote Wiener Gemeinderat und Mietervereinigungspräsident Georg Niedermühlbichler hat dazu getwittert: "Bei Bildung sparen ist für Sozialdemokraten ein No-go. Tut mir leid, aber da kann ich jetzt nicht ruhig sein."

Moitzi: Das kann ich nur unterstützen. Die SJ und die Mietervereinigung haben in den vergangen Jahren übrigens dafür gekämpft, dass es endlich zu leistbaren Mieten kommt. Es war schon paktiert, dass es eine neue Wohnbauoffensive gibt. Aber auch das ist dem Spardiktat aufgrund der Hypo-Milliarden zum Opfer gefallen. Dass man für Bildung und leistbares Wohnen kein Geld hat, gleichzeitig aber den Hypo-Gläubigern Milliarden zur Verfügung stellt, kann nicht die Lösung sein. Man muss noch einmal ernsthaft darüber diskutieren, wie die Hypobank abgewickelt werden soll. Es gibt Gutachten, dass die Insolvenz billiger kommen würde.

derStandard.at: Also fordern Sie den Bundeskanzler auf, Michael Spindeleggers Lösung zur Abwicklung der Hypo zu überdenken und einen U-Ausschuss einzusetzen?

Moitzi: Ja, das habe ich auch beim letzten Bundesparteivorstand kundgetan. Dafür haben auch mehrere andere Stimmen in der Partei argumentiert. Leider gab es aber kein Abrücken von dieser Position. Ich hoffe, dass es innerhalb der SPÖ und in der Gesellschaft zu einer Debatte kommt. Denn jetzt wird konkret sichtbar, was es heißt, wenn bis zu 19 Milliarden an Steuergeld aufgebracht werden müssen.

derStandard.at: Bei den SP-Nationalratsabgeordneten gibt es mit Ausnahme der Oberösterreicherin Daniela Holzinger offenbar ein Stillhalteabkommen zur Hypo. Wer sollen diese gewichtigen Stimmen in der SPÖ sein, die gegen die Parteilinie bei der Hypo-Abwicklung argumentieren werden?

Moitzi: In der Sozialdemokratie ist es viel wichtiger, dass der Druck von unten kommt. Daniela Holzinger ist ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man als Abgeordnete agieren sollte. Sie ist die Einzige, die sich an die Beschlüsse der Basis hält.

derStandard.at: Was werden Sie konkret unternehmen?

Moitzi: Die Aktion kritischer SchülerInnen und die SJ werden für Mittwoch nächster Woche zu einem Sitzstreik aufrufen. Wir möchten unter dem Motto "Wir sparen uns die ersten zwei Stunden" Schüler und Schülerinnen dazu motivieren, vor dem Unterrichtsministerium ein Zeichen zu setzen, dass nicht gespart werden darf, wenn es um ihre Zukunft geht.

derStandard.at: Das werden Fehlstunden sein?

Moitzi: Das fällt unter das Fach Politische Bildung. Im Ernst: Ich glaube, aus einer gesellschaftspolitischen Sicht ist es extrem wichtig, dass sich die Betroffenen selbst engagieren. Der letzte große Schülerprotest fand zur Zentralmatura statt, und zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Ich hoffe, dass die Betroffenen auch diesmal gemeinsam an einem Strang ziehen.

derStandard.at: Bis auf die Gratiszahnspange: Welche Handschrift der SPÖ sehen Sie in der derzeitigen Regierungsarbeit?

Moitzi: Ich sehe keine sozialdemokratische Handschrift in dieser Regierung. Das war auch der Grund, weshalb ich im Parteivorstand gegen die große Koalition gestimmt habe. Leider ist das eingetreten, was wir befürchtet haben: Ohne Vermögenssteuern bricht das Kartenhaus, dass es keine Sparpakete geben wird, immer weiter in sich zusammen. Wir haben immer gesagt, dass ohne Vermögenssteuern Sparpakete und Sozialabbau nicht verhinderbar sind.

derStandard.at: Soll die SPÖ die Koalition verlassen, wenn die Vermögenssteuern mit der ÖVP nicht möglich sind?

Moitzi: Ja. Aus meiner Sicht hätten wir diese nie eingehen sollen. Ohne politische Glaubwürdigkeit ist es schwer, Politik zu machen. Wenn es keine Vermögenssteuern gibt, man zugleich aber bei der Bildung spart, wird es unmöglich, die kommenden Wahlen zu gewinnen. Dann kann es sein, dass wir ein blaues Wunder erleben. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 16.4.2014)