Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Parsifal – Richard Wagner
Tiroler Landestheater. 4. April 2014 (Premiere 16.2.14)

Bild: Oliver Schopf

"Du siehst, mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit."

Zu Beginn ähneln die Gralshüter vor einer Kuppel Freischärlern, doch schon bald darauf wird in Innsbruck alles ins Katholische gezerrt. Amfortas als Papst. Titurel auch als Papst. Aber es kann doch nur einen geben, denkt man sich, und unterbricht sofort die eigenen voreiligen Schlüsse. Halt, das war doch was, erst neulich, der Pensionierte und der Passionierte. Nun gut, diese wunderbare Vermehrung der Heiligen Väter lässt sich schlucken. Doch dann folgt eine pompös zelebrierte Liturgie, als wäre der zweite Teil des ersten Aufzugs in Zusammenarbeit mit der Diözese Innsbruck konzipiert.

Foto: TLT/Larl

Die Idee, die Grasritter als hohe katholische Würdenträger in Talaren auftreten zu lassen, leidet an zwei Denkfehlern. Zum hat Wagner dieses "Bühnenweihespiel" als ersatzreligiösen künstlerischen Ritus gedacht, gerade weil seiner Ansicht nach Religion zum leeren Mummenschanz verkommen war. Wenn also der Regisseur eine katholische Messe minutiös nachzeichnet, samt allem Ornat und Brokat, bewirkt er nicht nur das Gegenteil der Absicht des Urhebers, sondern enttäuscht die Erwartungen des Publikums, denn die Messe gibt es jeden Sonntag nebenan in der Kirche, kostenlos. Zum anderen ist der entscheidende Aspekt der Gralsritter ihre Abgeschiedenheit, ihre sektiererische Weltabgewandtheit, alle wesentlichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen mit der katholischen Kirche heute rühren aber von ihrer eifrigen Einmischung in die Welt. Stichwort: Empfängnisverhütung. Und wenn wir schon beim Sexuellen sind, ist es wirklich eine gute Idee, die von Wagner gefeierte Idee der Keuschheit heutzutage gerade mit katholischen Priestern zu illustrieren? Und was ist mit Wagners Antikatholizismus? Wo bleiben seine vielfältigen synkretistischen Ansätze? Das Enigmatische dieses sowohl faszinierenden als auch frustrierenden Stücks wird im Sinne einer simplen und letztlich banalen Lesart aufgegeben. Als sollte Nietzsches Diktum bestätigt werden, dass sich Wagner in "Parsifal" den abendländisch-christlichen Konventionen unterworfen habe.

Foto: TLT/Larl

Es gibt ein weiteres Problem: Manche Inszenierungen gelingt es, die Stärken eines Werks zu betonen. So wie ein Modefotograf es beherrscht, das Gesicht eines Stars von seiner Schokoladenseite im schmeichelhaftesten Nordlicht zu zeigen, so kann ein raffinierter Regisseur die Stärken eines Werks herausarbeiten, die Schwächen hingegen überdecken. In Innsbruck geschieht das Gegenteil. Das Übermaß an Sakralität, die Dominanz der christlichen Ikonografie lenkt die Aufmerksamkeit auf Wagners Sprache und seinen kruden Remix aus christlicher Tradition mit heidnischen Elementen und einem Schuss östlicher Weisheit. Diese Fokussierung bekommt dem Parsifal gar nicht gut. Es wimmelt im Libretto von Schlagwörtern wie

SCHULD
HEIL
SEGEN
BLUT
REIN
BUSSE
HEILIG
WEIHEN
LEIDEN
LAST
ERLÖSER

Es stechen einem Sätze ins Ohr (denn das Textverständnis ist hervorragend) wie:
DA DIE ENTSÜNDIGTE NATUR HEUT IHREN UNSCHULDSTAG ERWIRBT
(für denjenigen, der es nicht versteht esoterisches Gequassel). Man wünscht sich, Wagner hätte Hölderlin vertont, anstatt seines eigenen konfusen Konvoluts, dessen poetischer Charme allein in einer Überdosis Retro liegt. 

Wie es inszenatorisch anders ginge, zeigt der rundum gelungene 2. Akt. Die Verführerinnen in weißen Perücken, in hellblau-metallic Cocktailkleidern, erotische Sekretärinnen auf Drehstühlen, später der Hauch einer chromatischen Revue (alten Schlags).

Foto: TLT/Larl

Und doch ist es ein denkwürdiger Abend, denn das reduzierte Orchester in einem für wagnerianische Maßstäbe eher kleinen Haus bringt die subtilen Aspekte der Partitur heraus, das Bombastische hingegen klingt angenehm reduziert. Beeindruckend, welche vielfältigen Nuancen die kleinere Besetzung des Tiroler Symphonieorchesters unter Alexander Rumpf herauskitzelt. In Innsbruck ist die Pianoseite Wagners zu hören. Und die Stimmen sind der großen Aufgabe allesamt gewachsen.

Höhepunkt: Anfangs des 2. Akts verrinnen auf dem Zwischenvorhang Streifen, in denen sich verfließende Buchstaben erahnen lassen, was zur Gewissheit wird, als die Bewegung aufhört. Dann ein grandioser Einsatz von abstrakten, aber evokativen Videozupielungen, in deren Mitte Klingsor, der Hexenmeister, seine Zauberei betreibt.

Coda: Kein anderes mir bekanntes Opernhaus bietet einen so spektakulären Ausblick vom Platz vor seinen Pforten aus. Da freut sich der angereiste Gast über die zwei langen Pausen und ihm geht der ketzerische Gedanke durch den Kopf, ob nicht die Nordkette erhabener ist als der gesamte Text Richard Wagners. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 16.4.2014)