Wien - Zehn Minuten sind nicht lang. Zumindest nicht, wenn man als Laie über "szintigraphisch dzt. kein sicherer HW auf eine hämodynamisch wirksame Koronarinsuffizienz, linksventrikuläre EF 54%" reden soll. Oder darüber, dass "Babinski, Chaddok und Oppenheim negativ" sind, übrigens ebenso wie "Knips und Trömner".

Zitate aus zwei von sechs medizinischen Gutachten über einen Mann, der sich vor dem Arbeits- und Sozialgericht Wien sein Recht auf eine Invaliditätspension erstreiten will. Sechs Gutachten, für deren Besprechung in der Verhandlung zehn Minuten Zeit bleiben, wie sich der Anwalt des Mannes ärgert.

Da das Verfahren noch im Laufen ist, will der Rechtsvertreter ungenannt bleiben. Empört ist er trotzdem: "Es ist für einen Anwalt unmöglich, sich auf Verhandlungen vorzubereiten, außer er kauft sich ein medizinisches Sachwörterbuch und geht jeden Begriff, der im Gutachten auftaucht, einzeln durch. Dieser Zeitaufwand ist unzumutbar. Ich muss ja auch keine kroatischen Gutachten selbst übersetzen."

Beeidete Dolmetscher für fast tote Sprache

Er hat ein weiteres Beispiel: "Der Befund lautet: 'Beim Betroffenen wurde eine subtotalitäre Inkoturbinationsvariante steritälitärer Metamorphosis im Stadium verpeplexer Vinculoren leichteren Grades festgestellt.' Die Folgerung des Sachverständigen: 'Dem Betroffenen sind daher leichte Arbeiten, auch in gebückter Haltung, möglich.' Ob das stimmt, kann ich nicht überprüfen."

Der Jurist plant nun, sich die Expertisen entweder von einem Arzt privat erklären zu lassen - oder beim Gericht eine Übersetzung Latein-Deutsch zu beantragen. Was grundsätzlich möglich ist: Es gibt beeidete Dolmetscher für die fast tote Sprache.

Anspruch hat er darauf aber nicht, wie Dagmar Albegger, Sprecherin des Justizministeriums, erklärt. Das Recht auf Übersetzung in die Muttersprache, das seit Jänner gilt, gibt es nur für den Beschuldigten in Strafverfahren.

Auch gesetzliche Normen für die inhaltliche Aufbereitung beziehungsweise die Form von Gutachten existieren nicht. Sie müssen nur so verfasst sein, "dass sie für das Gericht und die Parteien verständlich sind. Aber deshalb sind Sachverständige beim Prozess anwesend", sagt Albegger.

Keine Bezahlung für unverständliche Gutachten

Allerdings muss sie zugeben, dass die meisten Verfahren am Arbeitsgericht eben nur für zehn Minuten ausgeschrieben sind. Im Gegensatz zu Strafverfahren, die Tage dauern können und bei denen die Sachverständigen ihre Ergebnisse ausführlich vortragen.

In einem Punkt könnte der Anwalt allerdings Erfolg haben. Er will nämlich auch beantragen, dass die unverständlichen Gutachten nicht bezahlt werden.

Denn im Gebührenanspruchsgesetz findet sich der Passus, dass das Gericht das Honorar um bis zu 25 Prozent kürzen kann, wenn das "Gutachten so mangelhaft abgefasst (ist, Anm.), dass es nur deshalb einer Erörterung bedarf". (Michael Möseneder, DER STANDARD, 16.4.2014)