Bild nicht mehr verfügbar.

Das Bewusstsein, dass nicht jeder einen Vogel hat, der gerade ein anderes Vehikel als man selber nutzt, kann Basis für ein gedeihliches Miteinander auf der Straße sein.

Foto: APA

Wien - Die Kavallerie der Straße besitzt Drahtesel, ist im Feld wendig und tritt nach unten. Ihr Gegner hat mächtige Panzer, ist zahlenmäßig weit überlegen - aber sein moralischer Rückhalt in der Gesellschaft bröckelt.

Zugegeben, das Bild ist überzeichnet. Und doch gleicht der Konflikt zwischen Fußgängern, Radfahrern und Autofahrern in der Stadt mitunter einem Zwei-Fronten-Krieg. Der zuweilen mit recht schmutzigen Methoden gefochten wird. Natürlich: Wo der gemeinsame Platz begrenzt ist, das individuelle Bedürfnis nach Freiheit aber groß, da kommt es zu Reibereien. Die Radfahrer haben vernünftige Argumente: Ressourcenschonung, Umweltschutz, Gesundheit, Effizienz. Die Moral, mit der viele ihre Position vorbringen, die bräuchte es gar nicht. Auch die Autofahrer haben Gründe: Die Verkehrsplanung in den Städten, die den motorisierten Individualverkehr lange Zeit zum bevorzugten Normalfall erklärte; die eigene Bequemlichkeit, die Gewohnheit aller.

Dabei ist kaum jemand ausschließlich Radfahrer, Fußgänger oder Autofahrer. Die meisten Erwachsenen sind alles drei, zumindest zeitweise. Trotzdem ist es offenbar nicht leicht, sich in die Rolle des jeweils anderen zu versetzen. Dabei läge im Perspektivwechsel der Schlüssel für ein gedeihlicheres Miteinander auf der Straße. Er könnte helfen, die eigene Rolle umsichtig anzulegen, den Verkehr als das zu begreifen, was er ist: Ein komplexes Gefüge von Gleichzeitigkeiten. Ein Balanceakt der Bedürfnisse. Kein Gegeneinander, sondern im besten Fall ein Miteinander. Oder zumindest ein Nebeneinander.

Keine einfachen Lösungen

Ob ein Autofahrer einen Radler ohne Sicherheitsabstand hupend überholt; ob ein Radler mit Sportbrille durch die Fußgängerzone brettert; ob ein Fußgänger starr nach vorne blickend plötzlich auf die Fahrbahn oder quer über den Radweg strebt: Es gibt im Miteinander der Straße nicht das "eine" Rädchen, an dem zu schrauben wäre, damit plötzlich alles gut ist. Aber es gibt Kräfteverhältnisse: Autofahren ist in Österreich noch immer der Normalfall, in Wien liegt der Radleranteil mit sechs Prozent weit hinter Städten wie München oder Berlin, wo rund 14 Prozent mit der Rad unterwegs sind. Kein Wunder, dass Autofahrer, ausgestattet mit einer starken Lobby, Radfahrer und Fußgänger oft als Eindringlinge in ihr angestammtes Habitat empfinden.

Die einfachen Lösungen für den Verkehr liegen nicht auf der Straße. Die guten Geschichten schon. Etwa die vom Philosophen, der in seiner Freizeit passioniert Rennrad fährt und auch das Auto nützt: Konrad Paul Liessmann schlägt vor, dass Führerscheinanwärter einen Tag lang mit dem Rad auf einer stark befahrenen Straße fahren sollen. Damit sie die Welt aus einem anderen Blickwinkel kennenlernen. Dabei muss man kein Philosoph sein, um zu wissen, dass der Standort eines Menschen seine Weltsicht beeinflusst.

Vor dem Unfall scheitert die Kommunikation

Der Soziologe Ralf Risser mag Liessmanns Idee. Er erforscht derzeit in einer vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Studie den Zusammenhang zwischen Kommunikation und Unfallgeschehen bei Radfahrern und Autofahrern in Wien. Ihn interessiert vor allem die Perspektive der Radfahrer - haben sie doch ein höheres Unfallrisiko als andere Verkehrsteilnehmer. Rund 6.000 Unfälle mit Radlern gibt es jährlich in Österreich, mehr als jeder zehnte davon passiert in Wien. Was zu diesen Unfällen führt, wurde bislang nicht systematisch erforscht.

Ralf Risser sagt, dass vor der Kollision eines Autos mit einem Radfahrer fast immer die Kommunikation gescheitert ist. "Entweder, man nimmt sich nicht wahr, man beachtet sich nicht, oder einer tut etwas für den anderen Überraschendes." Doch das Scheitern der Kommunikation ist nicht immer persönliches Versagen. Auch Rahmenbedingungen wie Verkehrsdichte, Infrastruktur, Radweg- und Kreuzungsgestaltung spielen eine Rolle. All das will Risser in den Blick nehmen. Seine Studienergebnisse sollen künftig in die Gestaltung der Rahmenbedingungen einfließen: Wo und wie müssen Radwege angelegt sein, damit die Radfahrer ins Gesichtsfeld der Autofahrer rücken? Woraus sollte das Training für Verkehrsteilnehmer bestehen, um die Sicherheit aller zu garantieren?

Je mehr Radler, desto sicherer der Einzelne

Heute weiß man: Je mehr Radfahrer und Fußgänger auf der Straße unterwegs sind, desto geringer ist das Unfallrisiko für den Einzelnen. Der Grund: Radfahrer und Fußgänger gehören dann zur Normalität und sind stärker im Bewusstsein der Autofahrer. "Denken Sie an Italien. Dort gehören Damen mit Rock, Speichenschutz und Schwalbenlenker, die aufrecht durch die Städte radeln, zum Straßenbild", sagt Risser. "Wenn Radfahrer ein üblicher Anblick sind, fährt kein Autofahrer zu schnell an ihnen schnell vorbei."

Wie komplex zwischenmenschliche Kommunikation im Straßenverkehr ist, zeigt das Beispiel des Blickkontaktes. Er kann, je nach Situation, ganz unterschiedlich interpretiert werden. Und ist nicht immer automatisch empfehlenswert. Ralf Risser empfiehlt Fußgängern sogar, Augenkontakt mit Autofahrern eher zu vermeiden: "Wenn man Augenkontakt herstellt, hat der Autolenker ziemlich sicher den Eindruck, gesehen zu werden. Er denkt dann, der Fußgänger werde schon aufpassen - und fährt weiter." Rissers Versuche belegen diesen Effekt. "Wenn man so tut, als würde man den Autofahrer nicht sehen, dann bringt man praktisch alle zum Stehen." Sein Rat an Fußgänger: "Blickkontakt vermeiden, die Bewegung fortsetzen und sicherstellen, dass man nicht unter die Räder kommt."

Lichthupen kann Unterschiedliches bedeuten

Auch der ampellose Zebrastreifen ist ein Hot Spot der Uneindeutigkeit. Seit 1994 haben dort Fußgänger Vorrang. Will ein Passant den Schutzweg erkennbar benützen, müssen Autos halten. Woran man den Wunsch zum Queren erkennt, daran scheiden sich allerdings die Geister. Viele Passanten wissen nicht um ihr Recht und stehen zögerlich am Straßenrand. Die von vielen Fahrzeuglenkern in dieser Situation eingesetzte Lichthupe klärt die Situation nur bedingt: So hat eine Erhebung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit gezeigt, dass viele Autofahrer dem Fußgänger durch Lichthupen signalisieren, dass er queren kann. Das Problem: Manche Autolenker signalisieren damit genau das Gegenteil.

Die Beispiele gescheiterter Kommunikation im Straßenverkehr ließen sich fortsetzen. Forschungen wie die von Ralf Risser könnten für mehr Klarheit sorgen. Fest steht schon jetzt: Schwarz-Weiß-Malerei ist höchstens bei Zebrastreifen angebracht, Pauschalurteile werden der Realität nicht gerecht. Die besten Unfallvermeider sind immer noch besonnene Zeitgenossen, die sich vorausschauend, achtsam, defensiv und gelassen durch die Straßen bewegen. Unabhängig von der Art ihres fahrbaren Untersatzes. (Lisa Mayr, DER STANDARD, 16.4.2013)