Amstetten / St. Pölten - "Eine Kultur des Wegschauens hat bei uns keinen Platz": Robert Laimer, Landesgeschäftsführer der niederösterreichischen SP, fand am Montag im STANDARD-Gespräch deutliche Worte. Anlass ist das Gutachten über einen früheren SP-Politiker, das der Gemeinderat von Amstetten Ende 2012 in Auftrag gegeben hat. Paul Scherpon war während der NS-Zeit Landrat, eine Funktion, die der des heutigen Bezirkshauptmanns entspricht. In Briefwechseln mit der Gestapo empfahl er unter anderem explizit die Deportation von Juden. Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wechselte er von Braun zu Rot und wurde später Vizebürgermeister.

Amstettens Bürgermeisterin Ursula Puchebner (SP) hatte das Gutachten, das seit Mitte Jänner fertig ist, bisher lediglich im kleinen Kreis thematisiert. Auch auf Anfrage des STANDARD wollte sie vergangene Woche nichts zum weiteren Umgang mit der Expertise des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes (DÖW) sagen.

Landesgeschäftsführer Laimer erklärte nun, seinen Informationen zufolge werde in einer Gemeinderatssitzung am 14. Mai das Gutachten und die Schlussfolgerungen daraus öffentlich diskutiert. Es ging - wie berichtet - um die Frage, ob Scherpon die Ehrenbürgerwürde aberkannt werden soll. Streng juristisch betrachtet ist diese Frage nicht relevant, eine Ehrenbürgerschaft erlischt grundsätzlich mit dem Tod einer Person, kann also posthum nicht entzogen werden.

"Symbolischer Charakter"

In dem DÖW-Gutachten wird dies unter Berufung auf einen Juristen des Gemeindebundes auch explizit hervorgestrichen. Allerdings wird der Aberkennung einer Ehrenbürgerschaft ein "hoher symbolischer Charakter" zugeschrieben. Ehrenbürger würden schließlich in der Stadtchronik als solche geführt. Das DÖW betont zudem, Scherpon sollte keinesfalls aus den Publikationen der Stadt gestrichen werden - vielmehr empfiehlt es etwa eine Darstellung von Scherpons Biografie auf der Website der Stadt.

Eine konkrete Auswirkung der Ehrenbürger-Würde ist etwa, dass die Stadt alljährlich einen Kranz an Scherpons Grab niederlegt. SP-Landesgeschäftsführer Laimer sagt, er könne sich nicht vorstellen, dass das noch einmal vorkommen werde. "Die Sozialdemokratie muss die Aufarbeitung ihrer braunen Flecken vorantreiben", sagt er. Ein Gutachten wie jenes über Scherpon sei dafür eine gute Grundlage. Laimer sagt, er gehe davon aus, dass der Gemeinderat Scherpon, der 1970 gestorben ist, die Ehrenbürgerwürde posthum entzieht: "Da geht es eindeutig um die Symbolik." (Andrea Heigl, DER STANDARD, 15.4.2014)