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Gudrun Ensslin (im Bild mit Andreas Baader) war Patientin bei Walter Möbius in seiner Zeit als Gefängnisarzt in Stammheim. Er betreute sie während ihres Hungerstreiks, sie lehnte aber jede Hilfe ab - eines der vielen Kapitel im Buch behandelt die RAF.

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Arztsein hat eine sehr detektivische Seite, zumindest dann, wenn Walter Möbius Krankengeschichten aus seinem Leben erzählt. Der 1937 geborene Mediziner hat 24 Jahre als Internist in Bonn gearbeitet. Jene Fälle, die ihn prägten, hat er nun in diesem Buch versammelt.

Der Titel "Der Krankenflüsterer" ist vielleicht weniger gelungen, weil sich das Vorbild mit den Pferden irgendwie aufdrängt, aber sei's drum: Möbius präsentiert sich als einer, der immer vor allem die menschlich-psychologische Seite seiner Patienten in den Vordergrund gestellt hat. Sein Interesse hat ihm auch den Stoff für seine Geschichten geliefert.

Denn ohne dieses menschliche Grundrauschen hätten die einzelnen Fälle gar keinen Kontext, vor deren Hintergrund sich die Suche nach Diagnosen auftun kann. Möbius ist manchmal ein Dr. House, allerdings ein viel gütigerer natürlich, der in mühevoller Kleinarbeit Puzzlestücke zusammenträgt, die die Ursache von Beschwerden erklären - etwa eine Arsenvergiftung oder den Suizidversuch einer 16-Jährigen. Möbius hat während seiner Ausbildung auch in psychiatrischen Abteilungen gearbeitet, und dort viel erlebt.

Tücke, Streit, Konkurrenz

Für die Irrationalität des Menschen jedenfalls hat er großes Verständnis - und das ist sympathisch, genauso wie seine Offenheit, mit der er auch die Tücke in Spitalshierarchien nicht verschweigt. Denn nicht nur zwischen Ärzten und Patienten kann es zu Kommunikationsproblemen kommen, auch Ärzte untereinander können sich durch Machtspiele und Rivalitäten das Leben schwer machen, etwa bei schwierigen Diagnosestellungen.

Möbius verschweigt nicht, dass diese Konkurrenz manche Patienten auch das Leben gekostet hat. Das ist kein beruhigendes Gefühl, aber irgendwie trotzdem gut zu wissen. Denn auch Ärzte sind ja nur Menschen, die Fehler machen, und Möbius beschreibt, dass das Zugeben solcher Fehler auch möglich und undramatisch sein kann.

Einige der im Buch versammelten Fälle haben spektakuläre Hintergründe, etwa wenn er von seiner Zeit als Gefängnisarzt in Stammheim erzählt, wo er die hungerstreikenden RAF-Terroristen behandelte, oder das Kapitel über Contergan, das die Bandbreite des Medikaments noch einmal ins Licht rückt. Übrigens: Möbius hat auch eine österreichische Geschichte im Wiener Wilhelminenspital zu bieten -einigen Ärzten dort hat er erzählerisch ein Denkmal gesetzt. (Karin Pollack, DER STANDARD, 15.4.2014)