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Selbst ein versperrter Abstellraum in einem versperrten Haus schützt nicht vor Fahrraddiebstahl.

Foto: REUTERS/Yorgos Karahalis

Wien - Manche Mysterien sind recht einfach erklärt. Etwa die Frage, wie ein Dieb Fahrräder aus einem versperrten Aufbewahrungsraum entwenden kann, ohne das Türschloss zu beschädigen. Dann hatte er nämlich einen Generalschlüssel für das Gebäude - was eine durchaus lukrative Strategie ist, wie sich am Montag im Schöffenprozess gegen Goran J. am Straflandesgericht Wien zeigt.

Ein Bund mit exakt 588 Schlüsseln, sorgsam beschriftet mit den dazugehörenden Adressen, wurde im vergangenen Dezember bei dem 42-Jährigen gefunden. Der Staatsanwalt erklärt dem Senat unter Vorsitz von Patrick Aulebauer, wie man zu diesen praktischen Türöffnern kommt. "Unter vielen Klingelbrettern gibt es an der Außenfassade versperrte Laden, in denen diverse Schlüssel für die Häuser sind", sagt der Ankläger.

Für den Notfall gedacht

Der Hintergedanke: Feuerwehr oder Energieversorger sollten im Notfall die Möglichkeit haben, Keller, Dachböden oder andere Gemeinschaftsräume schnell erreichen zu können, ohne die Schlösser aufbrechen zu müssen. Das Problem: Erst im Einsatzfall offenbart sich, ob diese Generalschlüssel überhaupt noch alle da sind - auf Vollzähligkeit werden sie offensichtlich von Hausverwaltungen nicht überprüft.

Ein Umstand, den sich J. zwischen 2011 und 2013 zunutze machte. Gemeinsam mit seinem bereits zu zwei Jahren Haft verurteilten Komplizen Slobodan A. stahl er in diesem Zeitraum dutzende Fahrräder. Daher drohen dem zweifach einschlägig Vorbestraften nun wegen schweren gewerbsmäßigen Diebstahls zwischen einem und zehn Jahre Haft.

J. bekennt sich schuldig - will aber eher nur das Beiwagerl gewesen sein. "Wir haben im Sommer 2011 auf einer Baustelle gearbeitet, dann wurden wir arbeitslos. A. hat Schulden bei mir gehabt, und dann hat er vorgeschlagen, dass wir Räder stehlen sollen." Er habe zwischen Ende Juni und September aber eigentlich nur beim Abtransport geholfen. Um die 20 Räder habe man jeden Monat erbeutet.

Generalschlüssel als Pfand

Aulebauer will wissen, woher der Angeklagte die hunderten Schlüssel hatte, und erhält darauf eine überraschende Antwort. "Die habe ich A. gestohlen. Er hat mir noch immer Geld geschuldet", erklärt J. ihm. Warum er dieses wertvolle Pfand zwischen September 2011 und seiner Verhaftung Ende 2013 nicht gewinnbringender einsetzte, ist leicht erklärt: J. war zunächst in Österreich in Untersuchungs- und nach seiner Abschiebung in Serbien in Strafhaft.

Der bereits verurteilte A. bestreitet dagegen, mit J. auf Beutezug gewesen zu sein. Und auch, dass die fast 600 Schlüssel von ihm stammen. "Herr J. sagt, er hat sie Ihnen gestohlen", stellt Aulebauer fest. "Das würde mir auffallen, wenn so viele plötzlich weg sind", bekommt er als Antwort. "Von mir sind nur die 34 Schlüssel, die die Polizei bei mir gefunden hat", sagt A. mit Bestimmtheit.

Maximal 300 Euro Erlös

Der von Christine Wolf verteidigte J. ist absolut kooperativ und gibt schlussendlich knapp 60 Diebstähle zu - nur die angeklagte Schadenssumme stimmt ihn etwas unfroh. "Ich habe kein Fahrrad um mehr als 300 Euro verkauft", beschwert er sich über die Tatsache, dass manche der gestohlenen Räder mit über 1.000 Euro veranschlagt sind. Sein Schlusswort ist, so es sich nicht um einen Übersetzungsfehler der Dolmetscherin handelt, ein wenig überraschend: "Ich glaube, ich werde das nicht mehr machen", sagt er nämlich.

Nach gut zehn Minuten verkündet der Senat sein rechtskräftiges Urteil: drei Jahre unbedingte Haft, dazu kommen acht Monate aus einer offenen Vorstrafe. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 15.4.2014)