Zwei Tage nach den ungarischen Parlamentswahlen vom 6. April, die Premier Viktor Orbán trotz deutlicher Stimmenverluste einen neuerlichen Sieg bescherten, begannen auf dem Budapester Freiheitsplatz die Bauarbeiten für ein äußerst umstrittenes Denkmal. Es soll an den Beginn der deutschen Besatzung am 19. März 1944 erinnern. Diese bildete den Auftakt zur Ermordung von fast 600.000 ungarischen Juden.

Das Denkmal soll einen deutschen Reichsadler zeigen, der sich auf den Erzengel Gabriel, das personifizierte Ungarn, stürzt. Die implizite Botschaft: Ungarn war selbst unschuldiges Opfer.

Dies aber widerspricht klar der historischen Wahrheit: Ohne aktive Beteiligung des ungarischen Staatsapparates wären die Massendeportationen nicht möglich gewesen. Mehr noch: Mit einer Reihe von Judengesetzen, die schärfer als jene Hitlerdeutschlands waren, hatte Ungarn legistische Vorarbeit für den Holocaust geleistet. Als dann die Deportationen begannen, seien "in jeder Stadt kleine ,Wannsee-Konferenzen' über die örtliche ,Lösung der Judenfrage'" abgehalten worden, schreibt der Budapester Historiker Krisztián Ungváry in der jüngsten Ausgabe der Europäischen Rundschau.

Der Verband Jüdischer Gemeinden in Ungarn und jüdische Organisationen weltweit boykottieren wegen des Denkmals alle Holocaust-Gedenkfeiern der ungarischen Regierung. Orbán reagierte auf die Proteste nur insofern, als er den Baubeginn verschieben ließ. Ende Mai soll das Denkmal eröffnet werden.

Die Vorgangsweise des Premiers ist symptomatisch für seine ideologische Zweideutigkeit und die politische Instrumentalisierung der Geschichte. Dazu gehört auch die unter Orbán eingeleitete Rehabilitierung des Reichsverwesers Miklós Horthy. Dieser verfolgte gegenüber den Juden selbst eine "doppelgesichtige Politik", wie die ungarische Historikerin Mária Kovács im Heft schreibt: Drei Monate nach Beginn der Deportationen befahl er der Regierung, diese zu beenden. Das zeige, dass die ungarischen Behörden sehr wohl einen Handlungsspielraum gegenüber den Deutschen gehabt hätten.

Die Europäische Rundschau (Chefredakteur Paul Lendvai) startet mit dem aktuellen Heft eine Serie über den "Antisemitismus ohne Antisemiten". Äußerst erhellend dazu ist der einleitende Beitrag des israelischen Historikers Dan Diner. (Josef Kirchengast, DER STANDARD, 14.4.2014)