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Avi Primor: Teufelskreis im Nahen Osten

Foto: APA/dpa/Scheidemann
Tel Aviv/Wien - Als "Teufelskreis" bezeichnet der angesehene Vizepräsident der Universität Tel Aviv und frühere israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, im Gespräch mit dem S TANDARD die Situation im Nahen Osten. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Palästinenser ist Voraussetzung dafür, dass die Regierung von Mahmud Abbas die Unterstützung der bisher abwartenden palästinensischen Bevölkerung bekommt. Nur mit dieser Unterstützung kann sich Abbas leisten, die Extremisten zu bekämpfen. Ob die Lebensumstände der Palästinenser verbessert werden, die "in einem Elend leben, das kaum zu beschreiben ist", liegt jedoch bei Israel, das sich seinerseits nicht bewegt, solange der Terrorismus nicht bekämpft wird.

Die Roadmap, so Primor, sei nur ein Rahmen, in dem die Kontrahenten zu Verhandlungen gelotst werden sollen - um sie verhandlungsfähig zu machen, müsse die neue palästinensische Regierung jedoch genug Autorität haben, um Struktur und Infrastruktur des Terrors zu zerschlagen. Das sei "vorerst nicht" der Fall. Da sei auch die Ausgrenzung Yassir Arafats "nicht nützlich", mit dessen Unterstützung sich Abbas leichter täte.

Primor äußert sich allerdings auch skeptisch, was die Bereitschaft der Regierung von Ariel Sharon anbelangt, etwa Siedlungen zu räumen, um Platz für einen gangbaren Palästinenserstaat zu machen: "Ich glaube, dass er das nicht tun wird, aus innenpolitischen, aber hauptsächlich aus ideologischen Gründen." Die Roadmap sei von Israel nur unter US-Druck akzeptiert worden - wie ja im Moment alles bei Washington liege. Noch nie in seiner Geschichte, sagt Primor, sei Israel so abhängig von den USA gewesen. Aber das gelte auch für die Palästinenser, nur die USA könnten etwas für sie erreichen.

Allerdings habe Bush noch keinen "echten Beschluss" gefasst, die US-Regierung wolle zuerst sehen, was das Engagement für die Roadmap für die Wahlchancen Bushs bedeute: "Die Amerikaner haben noch keine Schlussfolgerung gezogen, ob ein erzwungener Friedensprozess, ob Druck auf Sharon für Bush eher günstig oder schädlich sein könnte."

Primor verweist dabei auf die Stimmen der "christlichen Fundamentalisten", die hundertprozentig unterstützen würden, dass "die Juden wieder ihr ganzes Land bekommen". "Diese Leute haben 1992 Bushs Vater (der sich nach dem Golfkrieg 1991 für den Beginn eines Friedensprozesses einsetzte, Anm.) sehr gefehlt", wenn also Bush vor den Wahlen in der Situation sein sollte, dass er von wenigen Stimmen abhängt - weil der Sieg im Irak verblasst und sich die Wirtschaft nicht erholt - dann wird er kein Interesse daran haben, Israel unter Druck zu setzen.

Die Entscheidung der Amerikaner, ob sie die Roadmap durchdrücken, wird laut Primor bis Ende des Jahres auf sich warten lassen. Primor wartet aber in diesem dunklen Moment auch mit einer positiven Aussicht auf: Falls sich Bush zurückziehen sollte, werde sich etwas "in den beiden Bevölkerungen bewegen", die verstanden hätten, dass sie ihre Ziele nicht durch Gewalt erreichen könnten.

In Israel hätten die Menschen vor einem Jahr noch geglaubt, "was Sharon und Netanyahu immer sagten, nämlich dass die Wirtschaftskrise nichts mit der politischen Lage zu tun hat und dass Sicherheitsprobleme mit Gewalt gelöst werden können". Mittlerweile habe sogar schon Sharon das Gegenteil zugegeben: Sein Eingeständnis, dass es mit der "Besatzung" zu tun hatte, "war für die Israelis ein Erdbeben". Dessen Einfluss jedoch vorerst ausgeblieben ist - weil weiter alle auf die USA warten. (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2003)