Wer das Glück und den Vorzug besaß, in der Deutschen Demokratischen Republik über einen gewaltigen Bums in der werktätigen Faust zu verfügen, der hatte gut lachen: Bei der Aufbauarbeit Ost waren Spaß und gute Laune offenbar wichtige Produktivkräfte.

Kaum ist das ostzonale Nostalgieschunkeln am Mainzer Lerchenberg abgeebbt - am vergangenen Sonntag strahlte der ZDF seine OSTalgie-Show aus -, rüstet schon der Privatsender Sat.1 für Meyer & Schulz (23. 8. und 30. 8.), die nunmehr wirklich "ultimative Ost-Show". Und RTL soll recht bald folgen.

Der moderierende Preisboxer Axel Schulz, ein Titan sozialistischer Muskelproduktion, gedenkt schon heute sehr innig seiner Erfahrungen im Wettstreit der Bruderstaaten: "Lustigerweise erinnere ich mich immer an die 'Titelkämpfe der Freundschaft' in Ulan-Bator, wo ich eine Silbermedaille gewann."

Überhaupt wird ihm bei der verklärenden Rückschau ganz warm ums Herz: "Was die DDR war, nenne ich einfach Heimat, Familie, Freunde!" Und die grauen Herren von der Firma "Guck und Greif", wie man Erich Mielkes allgegenwärtige Stasi-Agenten flüsterwitzig nannte, gehörten wohl zum erweiterten Bekanntenkreis.

Spaß und Sackhüpfen

Traut man der einsetzenden Verklärungsindustrie, dann muss das Alltagsleben in der DDR ein einziges mangelwirtschaftliches Sackhüpfen gewesen sein: ein schwarz-rot-goldiger Betriebsausflug ins Elend des sich "entwickelt" dünkenden Sparefroh-Sozialismus.

Anmut spart man nicht noch Mühe, das von Bedrängnissen und Beengungen gekennzeichnete Leben der "werktätigen Massen" von 1949 bis 1989 rückwirkend als niedlichen Komposthaufen zu kennzeichnen: auf dem das allgemein Menschliche offenbar besonders prächtig gedieh.

Vor lauter recycelten Gewürzgurken und schmachtäugig trällernden Amiga-Stars gerät - fast 13 Jahre nach der Wiedervereinigung - das Gerippe einer verstockten und arthritischen Einparteiendiktatur vollends aus dem Blick. Es muss eine arme, aber ehrliche Zeit gewesen sein: voll der Härten, aber mit privatem Bürgersinn, suggerieren die feierlaunigen DDR-Oldies. Und Katharina Witts Gesäß war schon immer das augenfälligste Argument für die Überlegenheit sozialistischer Förderpolitik.

Es scheint aus der Erinnerung gestrichen, dass die Realitätsfremdheit der zentralen Planwirtschaft eine besonders infame Form der Ausbeutung hervorbrachte.

Unter dem Siegel der "technisch-wissenschaftlichen Revolution" wurde bereits ab den 50er-Jahren, stärker aber noch in den 60ern die neu entstehende Intelligenz in Ostdeutschland zur Mitarbeit am Staatsganzen verpflichtet. Die gezielte Inkorporierung der Sachverständigen zielte auf die Entwicklung "privater" Ressourcen ab.

Die staatsloyale Bereitstellung von Fleiß, Erfindungsgeist, Aufbauwille wurde im Gegenzug mit dem Einräumen privater Schutzzonen belohnt - kärglich genug, weil der Versorgungslage angepasst. So durfte man nach Schichtdienstschluss auf der eigenen Datscha herumtrödeln und sich bekömmliche Mengen von Rotkäppchensekt hinter die Binde gießen.

Erst dieses System halbloyaler Bindungen vermochte jene Grauzone auszubilden, deren vermeintliche Nestwärme heute die Erinnerungen so einträchtig verklärt. Gewiss: Das Geschäft der "Besser-Wessis" kann nach Zertrümmerung der maroden Staatswirtschaft nicht auch noch die nachträgliche Enteignung von Erinnerungen sein - die "Authentizität" eines Alltagslebens unter widrigen SED-Verhältnissen genießt jede nur erdenkliche Schutzwürdigkeit.

Aber die knackfrische Spreewaldgurke ersetzt halt auch nicht Prousts "Madeleine" - jenes Stück Gebäck, das einen Strom anschwellender Erinnerung freisetzt.

Sat.1 staunt noch heute, "wie viel Spaß, Musik und Lebensfreude es in der angeblich so grauen und langweiligen DDR gab". Der Spaß war wohl nur die Kehrseite der Münze. Und deren gewöhnlicher Verkehrswert lautete: Diktatur. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2003)