Sie sind wie Märchengeschichten. Sie erzählen von Glück und Liebe, von strahlenden Feen und einem guten Ende. Und sie beginnen stets gleich: Es war einmal.
Aus der Entfernung mehrerer Jahrzehnte bekommt Werbung eine seltsame Patina. Ihre Bemühungen, stets das Neue vorzustellen und gegen das andere, Alte auszuspielen, haben etwas besonders Rührendes, wenn das Neue selbst alt geworden ist. So alt, dass wir es schon wieder schätzen gelernt haben, als Sammler, Nostalgiker, Kulturhistoriker, auch als einfach an Werbung Interessierte. Wir schauen zurück und spüren eine Spannung: Wie viel sich seit damals in der Reklametechnik geändert hat, und wie sehr doch vieles gleich geblieben ist.

Foto: Bilde aus den besprochenen Bänden

Wir sehen, wie Kampagnen versuchen, unser Selbstbild, unsere Entscheidungen zu beeinflussen. Das merken wir naturgemäß leichter, wenn es nicht um uns geht, sondern um die Generationen vor uns.
Vier Konzentrate von solchen Rückblicken sind im Laufe der vergangenen Jahre erschienen, vier Dekaden im Spiegel gängiger Werbung. Der Taschen Verlag hat sich auf Zeitungs- und Magazininserate aus den USA beschränkt, als dem Mutterland der modernen Reklame. Aus der Not der Masse hat er eine eigentümliche Tugend gemacht: Nicht eine feine Selektion preisgekrönter Kreativleistungen (wie es auf Werbedeutsch vielleicht geheißen hätte) hat er sich vorgenommen, sondern ein Massenaufgebot von allem, was der mass society und ihren Zielgruppen vorgesetzt wurde - in verlagstypischer Manier fünfsprachig weltweit aufgelegt (Jim Heimann (Hg.), All-American Ads. 30s und 40s (je 768 Seiten), 50s (928 Seiten) und 60s (960 Seiten), je Band € 20,80.

Mit den Dreißigern beginne die Anthologie, so der Design-Professor und Autor Steven Heller im Vorwort zum ersten Band, weil kurz davor überhaupt erst die Stunde der modernen Werbung geschlagen habe, und zwar, wie er unpatriotisch meint, in Paris: "Beflügelt von der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriel Moderne" sei ein US-Werbemann dort gewesen, "... (beeindruckt von den) vielen kubistisch und futuristisch inspirierten Werbegrafiken, Verpackungen und Displays." Das alles "erzielt immer eine gewisse spannende Harmonie und ist bisweilen sogar unterhaltsam", und er nahm "eine Vision davon (...) mit in die Staaten."

Dort trafen die importierten Visionen auf die Realität der Wirtschaftskrise, und die Visionen sind ziemlich auf der Strecke geblieben. Die Realität auch, zumindest in der Werbung. An ihre Stelle tritt das Märchen vom guten Leben, in so bunten Farben, in so weich gezeichneter Deutlichkeit, dass man 70 Jahre später nur mehr staunen kann. Märchen in gefährdeten Zeiten werden im Band der 40s erzählt: Kriegseintritt, Anstrengungen, Sieg, Rückkehr zum Konsum. Der Zweite Weltkrieg wird nicht ausgeblendet, ganz im Gegenteil. Doch er wird in allen nur erdenklichen Varianten in das Geschäft des Verkaufens integriert - Patriotismus im Dienste des Konsums und umgekehrt.

In keiner anderen Dekade aber war sich die Werbung ihrer Sache so sicher und entsprechend strotzend vor Zuversicht wie in den Fünfzigern. "Die Werbeleute", schreibt Herausgeber Heimann, kalifornischer Popularhistoriker und Grafiker, "bemühten Raumhelme und Raketen, um Frühstücksflocken zu verkaufen, Autodesigner warteten mit übertriebenen Heckflossen auf, um der neuen beschleunigten Geschwindigkeit Ausdruck zu verleihen". Geschwindigkeit und Richtung sollten sich in den Sechzigern ja ändern. Doch das merkt man dem vorläufig letzten Band (einer über die 70s ist in Vorbereitung) nur gelegentlich an. Dafür wird der Wiedererkennungswert, je nach Alter des Betrachters, größer, eine Nähe, die wieder diese Spannung schafft: wie bekannt und doch wie fremd. Fundgrube für Retro-Schick, Märchen vom schönen, problemlosen, ewigen Leben. (Der Standard/rondo/Michael Freund/22/08/2003)