Bild nicht mehr verfügbar.

John Banville erhielt 2013 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. In seinem neuen Werk meditiert er über Tod und Erinnerung - ein Drahtseilakt.

Foto: REUTERS/Brendan McDermid

Wien - Mit dem pubertierenden Alex meint es das Schicksal überraschend gut. Eben noch in Katzbalgereien mit seinem besten Schulfreund verstrickt, beginnt er mit dessen Mutter eine Affäre. Im katholischen Irland herrscht noch die rigide Moral der 1950er-Jahre. Alex empfängt die Zärtlichkeiten, die ihm Celia zuteil werden lässt, mit argwöhnischem Stolz. Man vergnügt sich auf Autorücksitzen. Bald schon übersiedelt das ungleiche Paar für die Dauer seiner Schäferstunden in eine Hausruine im Wald.

Ein herrlicher Geruch von Unverantwortlichkeit liegt über dem Treiben. Romancier John Banville entwirft einen wahren Kosmos "unschuldiger" Liebe. Celia, das Objekt erwachender Sinnenlust, durchläuft in der meisterhaften Prosa des Iren ein ästhetisches Programm. Sie wird inmitten ihrer Alltäglichkeit einer Umwandlung unterzogen. Dem Liebesschüler begegnet sie als schaumgeborene Venus. Jede Pore von ihr erfährt ihre gerechte Würdigung. Banville bietet sogar die Farbpalette Rembrandts auf, um die vitale Celia in eine Saskia zu verwandeln, auf deren (in Wahrheit nicht weiter bemerkenswerter) Haut die Pfirsichtöne mit Zinn und Silber um die Wette eifern.

Ersatz-Erzählung

Nun ist Alex kein besonders zuverlässiger Chronist seiner selbst. Er zählt, wie er bereits auf den ersten Buchseiten darlegt, zum Zeitpunkt der Niederschrift etwa 65 Jahre. Im Lichte der Vergangenheit lautet die sehr freie Übersetzung des Romantitels Ancient Light: Das Licht, das hier brennt, beleuchtet nicht so sehr die Gegenstände, sondern nährt sich von seinem eigenen Flackern. Banvilles Buch ist keine Mogelpackung, es entpuppt sich nur als Ersatzleistung. Der allwissende Erzähler versucht eine Ordnung wiederherzustellen, die er verloren geben muss.

Vor zehn Jahren ist Alex' Tochter gestorben. Die psychisch labile Cass stürzte sich an der ligurischen Küste von den Klippen. Frühere Banville-Romane (Sonnenfinsternis und Caliban) erweisen sich als erzählerische Vorstufen zu Alex' aktueller Beichte.

Alex, der erotisch wachgeküsste Knabe, wächst bemerkenswert "vaterlos" als Sohn einer Pensionswirtin auf. Sein späteres Scheitern als Bühnenschauspieler verdankt er ausgerechnet einem Blackout. Mitten auf der Bühne fiel er einst ins Loch des Vergessens. Der Vater ohne Kind, der einst ein Kind ohne Vater war, imaginiert, wie er in kleinen Seitwärtsschritten sich in die Bühnengasse zu retten versucht. Ein Mann ohne Text, ein Mensch ohne Erinnerungsvermögen.

Alex Cleave (to cleave: "spalten", "aufspalten") ist aber auch das Alter Ego eines Literaturkritikers namens Axel Vander. Diesen soll Cleave - ausgerechnet er, der sich keinen Text behält - als Filmschauspieler verkörpern. Die Vater-Tochter-Beziehung mit der jugendlichen Filmpartnerin gipfelt in einem weiteren Suizidversuch.

Die Tochter, die Alex zurückerhält, ist jetzt eine "geliehene". Es folgt eine Italienreise auf den Spuren von Cass, dem leiblichen Kind. Cass könnte ihre Zeit in Portovenere mit Axel Vander zugebracht haben. Banville führt den Leser durch einen Spiegelsaal voller Erscheinungen. Die ganze Hingabe des Erzählers gehört der Liebesgeschichte seiner Jugend. Ihr lauscht er das Rauschen der Seide ab; ihr entnimmt er das Klatschen des Regens auf das Ruinendach.

Im Lichte der Vergangenheit ist der mittlerweile 16. Roman John Banvilles. In ihm wird der Bann der Zeit aufgehoben. Mit jedem Erzählschritt erwirkt der Autor einen weiteren Aufschub des Todes. Schlaf, schreibt er, sei "eine nächtliche Kostümprobe fürs Totsein." Und: "Die Toten sind meine dunkle Materie; sie füllen unfühlbar die leeren Räume der Welt." Gebannt wird die Leere durch Prosawerke wie dieses. (Ronald Pohl, DER STANDARD, 12./13.4.2014)