In der Küche kommen die Fäden des Films und die Mitglieder einer Familie zusammen: Kathleen Morgeneyer, Anjorka Strechel, Mia Kasalo und Jenny Schily (re.) in "Das merkwürdige Kätzchen".

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Wien - Das Hemd, mit dem man morgens aus dem Haus geht, trägt man in der Regel auch abends noch. Es sei denn, man wird von einer heißen Wurst angespritzt oder irgendetwas anderes geht schief. Dann trägt man plötzlich ein anderes Hemd, und vielleicht ist sogar der ganze Tag ein anderer geworden. In Ramon Zürchers Film Das merkwürdige Kätzchen passieren dauernd solche Kleinigkeiten, und dabei schwingt immer dieses Gefühl mit, dass sich an den Kleinigkeiten die Welt entscheidet. Es sind introvertierte Details, die auf das Rätsel verweisen, das sich in den alltäglichsten Dingen zeigt. Eine Flasche, die in einem Topf tanzt? Kann man sicher physikalisch erklären, doch ist das nicht doch eher eine magische Angelegenheit?

Der Schweizer Ramon Zürcher studiert an der Deutschen Film- und Fernsehakademie (dffb) in Berlin. Das merkwürdige Kätzchen ist sein erster längerer Spielfilm, bei der Viennale wurde er im Vorjahr mit dem Preis der Standard-Leserjury ausgezeichnet. Eine Familie versammelt sich hier, deren Verhältnisse man sich allmählich ausbuchstabieren muss: Es gibt drei Generationen, ausgehend von einer Großmutter, von der es meistens heißt, dass sie gerade schläft. Jenny Schily spielt die Mutter, sie ist die Figur, von der man am ehesten sagen könnte, dass sie Familie und Film zusammenhält.

Wir kennen diese Welt im deutschen Film bisher am ehesten aus dem Werk von Rudolf Thome, bei dem auch unentwegt gesprochen und gekocht wird. Doch das, was Ramon Zürcher mit diesen Figuren macht, ist entschieden grundsätzlicher gedacht. Es ist offen auf alle Facetten des künstlerischen Prozesses, nicht nur darauf, dass das Kino nun einmal ein Bildmedium ist, das eine "natürliche" Stärke darin hat, unbefangene Menschen auf eine schöne Weise in Szene zu setzen.

Zürcher ist mit der Kamera und mit dem Mikrofon zugleich Bildfinder, Dichter, Komponist, Architekt und auch ein wenig Philosoph. Denn er interessiert sich offensichtlich für die Spannung zwischen dem Sinn, der sich zeigt, und dem, der sich entzieht, und er liebt auch eindeutig den Unsinn.

"Die Spatzen spinnen"

In Das merkwürdige Kätzchen wird weitgehend beiläufiges Zeug gesprochen, und doch haben diese Dialoge, die häufig schon vor der Antwort enden und deswegen zum Selbstgespräch tendieren, etwas Grundsätzliches. "Die Spatzen spinnen", heißt es am Ende eines durchgehenden Gesprächsmotivs, in dem es um die Fütterung von Vögeln geht, implizit aber auch um einen Kosmos, um eine erweiterte Menschenfamilie, zu der auch Insekten an der Wand zählen, die Zürcher zwischendurch in Großaufnahme zeigt.

Das Stillleben ist einer der Fluchtpunkte dieses sehr formbewussten Films, der doch niemals die Anmutung eines Regimes verströmt. So vergeht ein Morgen, es wird Nachmittag, ein Abendessen wird vorbereitet, eine Wurst wird angeschnitten, später ist die Wohnung wieder fast leer, und die Mutter blickt in die Kamera. Wir erwidern den Blick. Eine gute Stunde ist vergangen, in der sich das Kino als musikalische Form mit Bildern zu erkennen gegeben hat und das Familientreffen als Orchesterprobe für das große Solo des Lebens.

"Ich hab's gesehen, gehört und gespürt", sagt jemand, als plötzlich das Licht ausgeht. Es gibt dafür natürlich einen nachvollziehbaren Grund, aber es gibt auch ein Gefühl, eine metaphorische Qualität in diesem Moment, der für den ganzen Film charakteristisch ist. Wenn man in der Lage ist, das alles zu sehen, zu hören und zu spüren, wird man mit Das merkwürdige Kätzchen großes Vergnügen haben. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 12.4.2014)