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Ramalho ist einer der besten Verteidiger in Österreich. Er hat in Salzburg noch einen Vertrag bis 2015. "Mir gefällt es hier." Er träumt von einem Engagement in Deutschland oder England. "Es liegt an Gott, wo ich einmal lande, ich habe da keinen Plan." Nach der Karriere wird er vermutlich nach Brasilien heimkehren. "Vielleicht gründe ich eine Firma in Europa."

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Standard: Welche Erinnerungen haben Sie an Brasiliens letzten Titel, an das 2:0 im WM-Finale 2002 gegen Deutschland?

Ramalho: Ich war zehn Jahre alt, die ganze Familie ist daheim vor dem Fernseher gesessen und hat mitgezittert. Oliver Kahn hat einmal gepatzt, Ronaldo hat beide Tore geschossen. Ich weiß nicht mehr allzu viele Details, aber es muss super gewesen sein.

Standard: Wer waren Ihre Helden?

Ramalho: Ich hatte nie Helden. Ich mag viele Spieler, aber natürlich waren Ronaldo, Ronaldinho und Rivaldo phänomenal.

Standard: Unter welchen Umständen sind Sie aufgewachsen? Wie war Ihr sozialer Hintergrund?

Ramalho: Ich bin in Ibiúna geboren, wir waren weder reich noch arm, meine Mutter konnte daheimbleiben, sie passte auf mich und meinen Bruder auf. Als ich sechs war, zogen wir in ein Dorf. Mein Papa arbeitet in der Metallindustrie, die Firma stellte ein Häuschen zur Verfügung - mit einem kleinen Garten. Aus dem wurde ein kleiner Fußballplatz.

Standard: Angeblich träumt praktisch jeder brasilianische Bub davon, Fußballprofi zu werden und ein besseres Leben zu haben?

Ramalho: Das stimmt. Natürlich gibt es auch Leute, die Fußball hassen. Aber die muss man in Brasilien suchen.

Standard: Sind die Träume in den Favelas noch intensiver?

Ramalho: Vielleicht. Aber auch ich hatte den Traum. Nicht aus Not heraus, ich hatte eine schöne Kindheit, habe die Schule abgeschlossen. Trotzdem wollte ich es unbedingt.

Standard: Auffallend ist, dass brasilianische Kicker speziell im Ausland oft ihren Glauben und die Liebe zu Gott öffentlich bekunden.

Ramalho: Nicht nur die Fußballer, die meisten Brasilianer sind gläubig. Ich brauche Gott, er gibt mit Kraft, er ist in schwierigen und in schönen Momenten für mich da. Wir haben Demut, zeigen Dankbarkeit. Das sollen alle sehen. Es ist ein Glück, dass ich Fußball spielen und davon leben darf.

Standard: Sie lieben Brasilien, wollten aber trotzdem weg?

Ramalho: Das ist kein Widerspruch. Europa ist das Zentrum des Fußballs. Hier passiert alles. In Brasilien gibt es viel Konkurrenz, die wenigsten halten durch. Aber alle, die es geschafft haben, sind erst in Europa zu Superstars geworden, Ronaldo oder Romário wurden in Europa viel besser. Man wird hier kompletter. In Brasilien gibt es keine Disziplin, keine Taktik, da geht es im Fußball wirklich nur ums Spielen. Brasilien hat Talent und Spaß, in Europa kommt dann die Arbeit dazu.

Standard: Wie kamen Sie in die Red-Bull-Akademie Brasil?

Ramalho: Ein Mann aus meinem Dorf hat uns davon erzählt. Man konnte sich im Internet anmelden. Mein Vater hat das gemacht. Ich wusste nicht, dass es das gibt. Für mich war Red Bull ein Getränk. Es war 2008, ich war gerade vereinslos, bin dort hingegangen und habe vorgespielt. Man hat mich genommen. Das Trainingszentrum war ein Wahnsinn, ich hatte so etwas noch nie gesehen. Für brasilianische Verhältnisse war das abnormal.

Standard: Hatten Sie davor je etwas über Österreich oder Salzburg gehört?

Ramalho: Doch. Aus dem Internet. Zwei Tage vor meiner Abreise habe ich mich richtig schlaugemacht, es ging alles sehr schnell.

Standard: Sie sind dann im Jänner 2011 in Salzburg eingetroffen.

Ramalho: Es war das erste Mal, dass ich in einem Flugzeug gesessen bin.

Standard: Ihre ersten Gedanken?

Ramalho: Kalt hier. Ich war aber vorbereitet, hatte eine warme Jacke an. Ich sah zum ersten Mal Schnee, habe ihn angegriffen. Ich hatte keine Angst, es war ein Abenteuer, 10.000 Kilometer von daheim entfernt. Ich wollte etwas Neues erleben, eine Herausforderung annehmen. Natürlich war die Umstellung gewaltig. Das Essen, die Sprache, die Kultur.

Standard: Was vermissen Sie am meisten?

Ramalho: Die Familie, die Freunde, das Beisammensein. Aber sie besuchen mich regelmäßig. Ans österreichische Essen gewöhnt man sich übrigens rasch, weil es gut schmeckt.

Standard: Wie würden Sie Brasilien in drei Worten oder Sätzen beschreiben?

Ramalho: Es ist wunderschön, das Land hat gute und schlechte Seiten. Die Leute sind offener, sie lachen mehr, nehmen das Leben leichter. Sie sind mit wenig glücklich. Schlecht ist die Korruption, die Gewalt in den Städten, die Hilflosigkeit mancher Politiker, die nicht das Beste für die Menschen wollen. Es müsste viel mehr für die Ausbildung der Kinder und Jugendlichen gemacht werden.

Standard: Es gibt in Brasilien massive Proteste gegen die WM. Viele Leute meinen, man sollte lieber in Spitäler, Schulen und Universitäten investieren als in teure Stadien, die eigentlich kein Mensch braucht. Es profitiert in erster Linie der Weltverband Fifa. Die Ikone Romário gibt den Kritikern recht. Verstehen Sie die Argumente?

Ramalho: Ja. Als Fußballer will ich die WM, als Mensch habe ich Zweifel. Es wäre gut, wenn beides ginge. Schulen, Spitäler, Universitäten und eine WM. Aber beides geht wohl schwer. Vielleicht wäre es wirklich gescheiter, würde Brasilien in einem anderen Land zum sechsten Mal Weltmeister werden. Die Seleção steht gewaltig unter Druck. Spielt sie schlecht, werden die Proteste lauter. Gewinnt sie, herrscht zumindest während der WM Ruhe und auch Begeisterung.

Standard: Wie werden Sie die WM verfolgen?

Ramalho: Vor dem Fernseher. Wie vor zwölf Jahren. Nur steht der Apparat diesmal nicht in Brasilien.

Standard: Wer verliert am 13. Juli das Finale?

Ramalho: Deutschland. Hoffentlich gegen Brasilien. (Christian Hackl, DER STANDARD, 11.4.2014)