Heterogene Gruppe - eine Interessensvertretung? Die geeignete Organisationsform für moderne Wissensarbeiter ist in jedem Fall diskussionswürdig.

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Gewerkschaftliche Verhandlungen und Herbstrunden werden meist mit Produktion oder Handel in Verbindung gebracht. Karrieren von Wissensarbeitern hingegen werden selten mit kollektiver Interessenvertretung assoziiert. Sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch in breiten Bereichen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Thema herrscht die Annahme vor, dass Wissensarbeiter ihre Interessen individuell in Verhandlungen mit Entscheidungsträgern in Organisationen vertreten wollen.

Als Begründungen dafür dienen die Identität von Wissensarbeitern, die als selbstbestimmt und nach Autonomie strebend rekonstruiert wird, und die hohe Verhandlungsmacht, über die sie wegen ihres für Organisationen wertvollen Wissens verfügen. Diese vermutete Kombination soll zur erwähnten geringen Motivation für eine Gewerkschaftsmitgliedschaft und Solidarität mit anderen Arbeitnehmern führen. Die immer wieder strapazierte Rhetorik von der Wissensgesellschaft bekräftigt den Eindruck von Wissensarbeitern als bedeutsamste soziale Statusgruppe postindustrieller Gesellschaften.

Die Realität sieht für viele Wissensarbeiter aber anders aus. Eine beträchtliche Zahl findet sich in prekären Arbeitssituationen, die von starker Abhängigkeit von einflussreichen Auftraggebern oder Vorgesetzten und von atypischen Arbeitsverhältnissen wie abhängiger Solo-Selbstständigkeit, Verträgen als freie Dienstnehmer, befristeter und Teilzeitbeschäftigung geprägt sind.

Gemeinsame Anliegen vorhanden

Nun könnte man erwarten, dass gerade diese schwierigen Bedingungen die Neigung zur kollektiven Interessenvertretung erhöhen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die konkreten Beschäftigungsverhältnisse erschweren aus unterschiedlichen Gründen die gewerkschaftliche Organisation zur Vertretung gemeinsamer Interessen erheblich. Ein-Personen-Unternehmen sind häufig Pflichtmitglieder in der Wirtschaftskammer und treten - obwohl möglich - kaum Gewerkschaften bei.

Für Personen mit befristeten Arbeitsverhältnissen sind potenzielle Erfolge gemeinschaftlicher Initiativen oft zu langfristig, oder sie befürchten dadurch bei Entscheidungsträgern, von welchen etwaige Verlängerungen oder Entfristungen abhängig sind, anzuecken. Bei Wissensarbeitern in Normalarbeitsverhältnissen, die häufig in mit Betriebsräten ausgestatteten Unternehmen tätig sind, findet sich hingegen ein wesentlich höherer Anteil von Gewerkschaftsmitgliedern.

Zusammenfassend zeigt sich also, dass die Organisationsneigung innerhalb der Wissensarbeit differenziert betrachtet werden muss. Das Interesse, sich für gemeinsame Anliegen zu organisieren, ist bei einem beträchtlichen Teil der Wissensarbeiter gegeben. Es äußert sich aber in erster Linie bei jenen in Standardarbeitsverhältnissen als klassische gewerkschaftliche Organisation. Atypisch Beschäftigte sehen Gewerkschaften kaum als geeignete Vertretung für sich und tendieren wenn überhaupt eher zu selbstorganisierter Interessenvertretung. (Astrid Reichel, DER STANDARD, 12./13.4.2014)