Wladimir Klitschko trainiert seit vier Wochen in Tirol für seine nächste Titelverteidigung. Er ist nicht nur Weltmeister im Schwergewicht, sondern auch in der Inszenierung. Eine Fleischbeschau am Boxring

Going am Wilden Kaiser - Boxen ist nicht wie Radfahren. Man legt da nicht einfach los, wenn einen die Lust packt. Es braucht mentale und körperliche Vorbereitung, Dehnung, Bandagen, Konzentration, Inszenierung, eine Art psychologische Kriegsführung vor dem Kampf - auch wenn es doch eigentlich um gar nichts geht, zumindest noch nicht. Wladimir Klitschko ist wieder einmal zum Training in Tirol.

Erste Runde, das Vorspiel: Es riecht nach schwitzenden Männern in der Tennishalle des Promihotels Stanglwirt. Hier, nahe Kitzbühel, fühle sich Klitschko, "wie zu Hause". Es ist der Ort, an dem sich der amtierende Boxweltmeister im Schwergewicht auf all seine Kämpfe vorbereitet. Er liebt Österreich.

In der Mitte der Halle wurde ein Ring aufgebaut. Im Raum verteilt hängen Boxsäcke von der Decke. Die Ketten, an denen sie angebracht sind, rasseln im Rhythmus der Schläge junger Männer, die rundherum stehen und darauf eindreschen. "Failure is not an option" steht hinten auf ihren ärmellosen Shirts. Schneller Techno. Die Stimmung ist aufgeheizt. Wer in dieser Umgebung nach dreißig Minuten nicht seinen linken Haken testen will, ist kein Mensch.

Zweite Runde, die Ankunft: Dann kommt er, der Champ. Er läuft locker in die Halle, setzt sich auf die Stufen des Boxrings und zwinkert in Richtung Reporter, die erst jetzt bemerken, dass er da ist. Dann zieht er sich die Socken aus. Skurriles Bild. Eine Meute an internationalen Kamerateams umkreist Klitschko und fotografiert ihn und seine bloßen Füße. Mit einer Seelenruhe bandagiert er sich die großen Zehen. Die Meute beobachtet. Blitzlicht. Aufregung.

Dritte Runde, die Vorbereitung: Wer glaubt, dass der Trainingskampf nun gleich losgeht, irrt. Klitschko kam nicht besonders gut vorbereitet. Er muss noch dehnen, aufwärmen, etwa vierzig Minuten dauert es, seine Hände zu bandagieren. Das macht sein persönlicher Physiotherapeut auf einer eigenen Vorrichtung in der Mitte des erhöhten Boxrings. Die Meute schaut begeistert zu. Jeder will das perfekte Bandagier-Foto. Klitschko scheint das nicht zu sehen.

Vierte Runde, die Inszenierung: Dann wird der 1,98-Meter-Mann angezogen. Kopfschutz, Mundschutz, Boxhandschuhe, Tiefschutz - alles wird ihm wie in Zeitlupe angelegt. Die Schutzvorrichtung für seine Lenden ist aus glänzend rotem Leder, auf das mittig seine Initialen gedruckt wurden. Auch auf seinen Schuhen steht sein Name. Und auf den Shirts und Hosen fast aller Anwesenden. Klitschko selbst wirkt wenig beeindruckt. Menschen, die sich mit den ukrainischen Brüdern auseinandersetzen sagen: Witali, zuletzt im Rampenlicht der Weltpolitik, der erneut für das Amt des Kiewer Bürgermeisters kandidieren will, ist der Patriarch. Und Wladimir ist immer sein kleiner Bruder geblieben.

Fünfte Runde, der Kampf: Am 26. April wird der kleine Bruder als übermächtiger Boxer gegen den Samoaner Alex Leapai in den Ring steigen. Eine freiwillige Titelverteidigung im deutschen Oberhausen. Es wird der 65. Kampf seiner Profikarriere sein. Bilanz: 61 Siege, drei Niederlagen. Beim öffentlichen Training tritt er in neun Runden gegen drei Profiboxer an. Wer die sind, sei im Grunde egal, erklärt Klitschkos Manager, es gehe darum, dass sie eine ähnliche Statur und Technik wie Leapai haben.

Sechste Runde, David 1: Sein erster Gegner wird rückblickend wie der stärkste gewirkt haben, doch schon bei ihm ist klar: Es ist ein Kampf zwischen David und Goliath, nur ohne Sieger. Schon rein optisch wird die Hierarchie deutlich: Klitschko, der auf Hochglanz polierte Champion. David 1, etwas dicklich, mit schief sitzendem Kopfschutz, der hauptsächlich damit beschäftigt ist, sich die Fäuste vors Gesicht zu halten.

Siebente Runde, David 2: Sein zweiter Sparringspartner schlägt etwas häufiger zu. Gut für den Champ, der dadurch eine seiner Stärken für die Medienleute sichtbar machen kann. Er scheint im Voraus zu wissen, wohin sein Gegner schlagen will, und ist dann bereits ausgewichen. Ins Schwitzen kommen dennoch beide. David 2 in triefenden Flecken, Klitschko ist hingegen gleichmäßig benetzt. Sogar in diesem animalischen Zustand wirkt er fast übermenschlich.

Loses Sparring-Mundwerk

Achte Runde, David 3: Als Klitschko seinen dritten Gegner sieht, schnaubt er kurz verächtlich. "Really?", fragt er und lächelt. Dieser ist nämlich zaundürr und etwa halb so lang wie der Weltmeister. Bei ihm geht es wohl um Technik und Geschwindigkeit. David 3 ist tatsächlich wesentlich flinker als seine Vorgänger, er hat auch ein loses Mundwerk: "Hey, motherfucker", ruft er Klitschko regelmäßig zu. Doch auch seine neun Minuten gehen relativ schmerzlos vorüber.

Der finale Abpfiff: Klitschko springt über die Seile, joggt zur Türe und verschwindet, wie er kam. So ungezwungen, dass seinen Abgang - obwohl ihn alle anstarren - keiner realisiert. (Katharina Mittelstaedt, DER STANDARD, 11.4.2014)

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