Nur die Flosse und Gewichte, um den eigenen Auftrieb zu überwinden, sind in Guillaume Nérys Disziplin Constant Weight erlaubt. Die Rückkehr an die Oberfläche muss aus eigener Kraft erfolgen. Die mit einem Atemzug erreichte Rekordtiefe liegt derzeit bei 128 Metern.

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Néry weiß um die Gefährlichkeit seiner Sportart Bescheid: "Eine gewisse Marge sollte immer übrig bleiben."

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Wien - Der Mann weiß sich zu inszenieren. Guillaume Néry steht unter Wasser am Rande eines Abgrunds, wirft sich kurz in Pose und stürzt sich dann mit einem Atemzug in ein bedrohlich anmutendes Loch vor den Bahamas. Erst vier Minuten später kehrt der Franzose aus Dean's Blue Hole zurück. Das von seiner Ehefrau Julie Gautier gedrehte Video verhalf dem 31-Jährigen 2010 zur Berühmtheit, mehr noch als seine Weltrekorde oder sein Weltmeistertitel. Youtube und mehr als 17 Millionen Aufrufen sei Dank.

Es ist die purste Form des Apnoe-Tauchens, die Néry in ihren Bann und in die Tiefe gezogen hat. Anders als bei der Rekordjagd des Österreichers Herbert Nitsch in der Kategorie No Limit sind im Constant Weight keine technischen Hilfsmittel außer Flossen und Gewichte erlaubt. Im September 2013 ist Néry auf 125 Meter abgetaucht. Dass seine persönliche Bestleistung drei Meter über dem aktuellen Weltrekord liegt, bereitet ihm keine schlaflosen Nächte: "Ich möchte nicht mehr alles riskieren, um einen Meter tiefer zu tauchen. Ich habe jetzt andere Prioritäten."

Willkommene Pause

Zuletzt weilte Néry in Wien, die Dokumentation Attention - A life in Extremes ist derzeit in Endproduktion. Er gibt neben dem Extremradfahrer Gerhard Gulewicz und dem Wingsuit-Flieger Halvor Angvik einen der drei Hauptprotagonisten. Der unter der Regie des Österreichers Sascha Köllnreitner entstehende Film soll unter anderem Einblick in die Psyche der Extremsportler gewähren. Er läuft im September an. Produktion, Synchronisation, Promotion - es gibt reichlich Arbeit, also wird Néry 2014 eine Wettkampfpause einlegen. Und die kommt dem Jungvater nicht ganz ungelegen, denn zum wiederholten Male hat ihn ein Unfall in der Apnoe-Szene aus dem Gleichgewicht gebracht.

Im November kam der US-Amerikaner Nicholas Mevoli in Dean's Blue Hole ums Leben. Während Nérys Landsmann Loïc Leferme 2007 im ohnehin gefürchteten No Limit verunglückte, verstarb Mevoli bei einem überwachten Bewerb im Constant Weight. Der Sport ist ein gefährliches Vergnügen. In der Tiefe schlägt das Herz nur noch alle drei Sekunden, die Lunge wird auf die Größe einer Faust zusammengepresst, das Gehirn einer leichten Narkose ausgesetzt. Néry will sein Limit nicht ausreizen: "Eine gewisse Marge sollte immer übrig bleiben."

Gesundes Misstrauen

Bei aller Faszination für den Rausch der Tiefe, für das "extreme Bewusstsein der Verbindung zwischen Körper und Geist", hat Sicherheit für Néry mittlerweile Priorität: "Ich bin 2008 einen Weltrekord getaucht, obwohl ich dafür körperlich und geistig nicht bereit war. Ich habe dabei keine Freude empfunden." Die Erfahrung war lehrreich. "Ich bin jetzt sehr vorsichtig", sagt er. Als Jungspund reizte ihn die grenzenlose Rekordjagd, die Serie an Unfällen hat ihre Wirkung aber nicht verfehlt. Zudem fehlt Néry das Vertrauen in die Technik. Wenn die Mechanismen in der Tiefe versagen, ist das Spiel vorbei. "Ich habe gerne die Kontrolle, mir sind schon Motorräder zuwider."

Néry sieht sich als Botschafter eines Sports, der häufig mit Todessehnsucht assoziiert wird. Er will die positiven Seiten der Atemlosigkeit in den Vordergrund stellen: "Wir sind nicht verrückt. Die Apnoe ist eine Form der Meditation." Ebendieser Zustand soll im Filmprojekt Narcose durch seine Frau inszeniert werden. Realisierung und Vermarktung seien wie der Sport mit großem Druck verbunden. Gibt es da keinen wesentlichen Unterschied? "Doch", sagt Néry und lehnt sich entspannt zurück: "Dabei gefährde ich nicht mein Leben." (Philip Bauer, DER STANDARD, 10.4.2014)