Chris Imler raucht, stöhnt und hechelt, als gäbe es kein Morgen. Muss es auch nicht. Es ist ja erst heute.

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Kraftwerk führen im Mai ihr Gesamtwerk im Wiener Burgtheater auf. Zumindest jene Arbeiten, für die die Düsseldorfer Elektronikmusiker berühmt geworden sind. Daran muss man beim Hören von Chris Imlers Musik denken, der eben sein Debütalbum Nervös veröffentlicht hat. Das hängt aber nur insofern zusammen, als man sich denkt, dass eigentlich auch das Werk der Deutsch Amerikanischen Freundschaft, kurz DAF, im Burgtheater aufgeführt gehörte. Und in der Oper von Sydney. Und im Museum of Modern Art in New York sowieso. Gerade heute. In Zeiten von Edward Snowden, der NSA, der US-Drohnen, die den Tod von deutschen Flughäfen aus in den Nahen und Fernen Osten ausliefern, und anderer Unappetitlichkeiten mehr.

Das bleibt natürlich Wunschdenken, aber DAF, ach. An DAF muss man denken, wenn man Imlers Nervös hört. Schon wegen der einschlägigen Sounds, die er dafür hochfährt. Für diese memorierte er das Schaffen des Duos, das zu pochendem Synthiegeplucker und dem Galeerengetrommel Robert Görls Hypnose, Gold und Lust in unsere Gehörgänge pumpte und dazu schwitzte und stöhnte. Nur geil ist geil.

Zur selben Zeit formulierte die aus der Nachbarschaft von DAF kommende Band Fehlfarben die Zeile "man kann, was gut war, sowieso nicht wiederholen". Das ist so zeitlos gültig wie alles, was DAF gemacht haben, und es bringt Herrn Imler ein wenig in die Bredouille. Aber nicht sehr. Denn seine Auslegung des Albumtitels, bedeutet vornehmlich die Energie in die Höhe zu treiben. Das ist gewissermaßen die glückliche Zwangslage, in der der Berliner Musiker der Generation fünfzig plus steckt.

Dr. Heinrich Hoffmanns Diagnose für den Mann mit dem Strizzibart wäre Zappelphilipp gewesen. Seine Unruhe verschärft ein Dasein als exaltierte Nachtlebensinstitution, die den Versuchungen unter dem Mond nicht abgeneigt gewesen sein soll und damit seine naturgegebene Energie noch multiplizierte. Kollegin Peaches, die ja auch nicht ohne Hummeln im Popo die Bühne betritt, nützte diesen Umstand heiß-kalt aus und engagierte Imler als Schlagzeuger. Ebenso Jens Friebe oder Maximilian Hecker. Und dann gab es da noch eine Band namens Golden Showers, von der der Mythos nur Exzesse und Ekstase überliefert. Imler bearbeitete auch dort die Felle.

Dieser Vorbildung entsprechend, ist Nervös eine Art rhythmischer Organismus geworden. Reduktion und sich dicht überlagernder akustischer Firlefanz prägen die Tracks. Die Texte, so man sie versteht, sind überspitzte Alltagsbetrachtungen, verpackt in knappe Slogans und ein Vokabular, das wieder an DAF erinnert. Oder an Quatsch: "Ich mach mir Sorgen wegen Norwegen". Einmal singt Imler Deutsch, dann Englisch. Wie es gerade besser passt, vom Gefühl her. Und wenn es einmal nichts zu sagen gibt, wird gestöhnt und gehechelt. In derlei Momenten, in Songs wie Schweinsoberleder oder Dark Spot Of Joy lässt Alan Vega lieb grüßen, der atemlose dunkle Fürst des Schaltkreisgejapses von Suicide.

Das alles verbindet Imler zu einem hypnotischen Sog, der auf ein Zielgebiet zusteuert, das er selbst als Voodoo definiert. Eine Mischung aus kruden Beschwörungen und nimmermüden Beats, irgendwas Unerhörtes, Dreckiges, im besten Sinne Primitives. Das ist so etwas wie der Antrieb dieser Musik. Die Erinnerung an magische Momente zu beschwören und sie kurz aufleuchten zu lassen. Momente von damals, als die Unschärfen früher Synthesizer prächtige Bastarde geboren haben. Das gilt für den Synthiesound der frühen 1980er-Jahre genauso wie den frühen Techno. Imler liebt beides. Als Nebenprodukt dieses versauten Kirtags fällt dann und wann auch noch etwas Funk ab. Von der Sorte, die den Albumtitel rechtfertigt: ein Schock aus der Steckdose. Der Tod ist ein Dandy, und Imler sieht nicht nur wie einer aus. (Karl Fluch, Rondo, DER STANDARD, 11.4.2014)