Liverpool - Es ist erst eineinhalb Jahre her, dass Steven Gerrard seinen Jugendtraum abgeschrieben hat. Dem Mann, der 2005 als Kapitän mit "seinem" FC Liverpool die Champions League gewann, der seine Hände mit nur einer Ausnahme an jeder Trophäe hatte, die im Klubfußball zu holen ist, war klar geworden: "Es wäre ein Wunder, würde ich mit Liverpool Meister werden." 18 Monate nach diesem Satz in seiner Biografie "My Liverpool Story" darf der fast 34-Jährige wieder träumen.
Die Reds führen die Premier League fünf Runden vor Schluss zwei Punkte vor Chelsea an. Der Dritte Manchester City hat noch zwei Nachholspiele, muss aber an die Anfield Road. Wenn Liverpool das Duell am 13. April wie auch die anderen vier Begegnungen, darunter die mit Chelsea, gewinnt, ist die erste Meisterschaft seit 1990 perfekt. "Ich glaube fest daran", sagt Gerrard inzwischen.
Der Optimismus der Liverpool-Ikone hat gute Gründe. Die Merseysider haben ihre jüngsten neun Spiele gewonnen, darunter waren eindrucksvolle Siege wie gegen Arsenal (5:1) oder bei Manchester United (3:0). Am Sonntag wurde West Ham 2:1 geschlagen, Gerrard verwandelte zwei Elfer.
Die Offenbarung
Die letzte Niederlage datiert vom 29. Dezember 2013 (1:2 in Chelsea). Damals fehlte Daniel Sturridge verletzt, der mit Luis Suárez ein kongeniales Sturmduo bildet. Suárez (29 Tore in 27 Spielen) ist der gefährlichste Angreifer in Europas Top-Ligen, Sturridge (20/24) zweitbester Schütze der Premier League. Neben diesem Duo hauptverantwortlich für den Aufschwung ist Teammanager Brendan Rodgers (41). Der Nordire sorgte mit Aufsteiger Swansea als "Swanselona" (in Anlehnung an Barcelona) für Furore, ehe er 2012 zu Liverpool kam, um den schwächelnden Traditionsklub zu modernisieren. Das tat er. "Brendan ist eine Offenbarung", sagt Gerrard. Rodgers hat den Kapitän als alleinigen Sechser vor die Abwehr zurückgezogen, ohne dass Gerrard an Gefährlichkeit einbüßte. Er lässt extrem flexibel agieren. Und er setzt auf die Jugend, wie die Beispiele Raheem Sterling und Jon Flanagan zeigen.
"Wir haben schwere Zeiten hinter uns. Jetzt genießen wir es", sagt Gerrard über Rodgers' neues Liverpool. Dessen Attraktivität hat sich über die Insel hinaus herumgesprochen. Er freue sich, sagte Bayerns Trainer Pep Guardiola, dass die Reds erstmals seit 2009/10 in der Champions League vertreten sein werden, "weil sie einen wunderbaren Fußball spielen".
Die Ironie
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass Liverpools Renaissance mit dem Niedergang von Erzrivale Manchester United einhergeht. Dort war Alex Ferguson 1986 angetreten, um Liverpool "von ihrem verdammten Sockel zu stoßen". Der Sir gewann mit United 13 Meisterschaften und löste Liverpool 2011 als Rekordchampion ab. Im vergangenen Sommer trat er zurück, jetzt hat United 17 Punkte Rückstand.
"Wir müssen jedes Spiel wie ein Pokalfinale angehen", fordert Gerrard vor dem für ihn in doppelter Hinsicht spannenden Endspurt. Während er um den Jugendtraum kickt, rollt die Justiz das Hillsborough-Drama neu auf, bei dem am 15. April 1989 96 Liverpool-Fans zu Tode gekommen waren. Gerrard verlor dabei seinen Cousin Jon-Paul Gilhooley (10). Die Meisterschaft, so er sie gewinnt, wird er ihm widmen. (sid, hac, 08.04.2014)