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Ein Salut an die Gefolgsleute der Fidesz: Sie wurden weniger, verschafften Viktor Orbán aber dennoch eine Mehrheit.

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Nein, es ging in dieser Wahl nicht um Kompetenz, Programme oder helle Köpfe. Auch ein Ringen ausgefeilter Ideologien, oder aber der gänzliche Verzicht darauf, war nicht zu erkennen. Es gibt ein anderes Charakteristikum dieser Abstimmung: Viktor Orbáns Wiederwahl stellt keinen persönlichen Sieg dar, sondern einen Triumph politischer Verantwortungslosigkeit.

Ungarn ist unter seiner Führung ein Verfassungsstaat geblieben, und ein Rechtsstaat sowieso. Die Wahlen liefen frei und deshalb im Kern fair ab. Dennoch fuhr Ungarns Regierung die einstige osteuropäische Vorzeige-Jungdemokratie an die Wand: Es handelt sich nicht um eine Ansammlung von Defiziten unterschiedlichen Grades. Die Verfassungsmehrheit wurde benutzt, um tief reichende Demokratiedefekte in voller Absicht herbeizuführen.

Die neue Verfassung, die man dem Land verpasst hat, wurde nach eigenem Gutdünken ohne Einbeziehung oppositioneller und zivilgesellschaftlicher Akteure gestaltet. Seitdem hat man mehrfach umfassende Änderungen im Eilverfahren in Kraft gesetzt, die zu einem Aufblähen dieses entscheidenden Dokuments und vereinzelt zu Rechtsunklarheiten geführt haben.

Schrankenlos

Die sich daraus ergebende Schrankenlosigkeit genügte allerdings nicht: Die Befugnisse des Verfassungsgerichts wurden verstümmelt, die direkte Demokratie hat man gestutzt, dem Zentralstaat Durchgriffsrechte bis in die kleinsten Dörfer geschaffen, die Unabhängigkeit der Nationalbank beseitigt. Im Parlament hat man Vorsorge für Eilgesetzgebung getroffen. Die dadurch herbeigeführte Konzentration von Macht ist beispiellos.

Demokratie bedeutet mehr als Rechtsstaatlichkeit. Aber selbst diese wird in wichtigen Teilbereichen ad absurdum geführt: Weit häufiger als der Europäische Gerichtshof verurteilen ungarische Gerichte - darunter das Verfassungsgericht in jenen wenigen Belangen, zu denen es sich noch äußern darf - den nationalen Gesetzgeber und willfährige Unterstützer in staatlichen Behörden. Die Krux dabei ist, dass diese Rechtsprechung praktisch folgenlos bleibt: Es mangelt an Sanktionen, weil dies der Gesetzgeber so festgelegt hat. Bleibt das Strafrecht, das in den allermeisten Fällen nicht greift (wovon auch Vertreter der sozialistisch-liberalen Vorgängerregierung profitierten).

Die Regierenden antworten mit Zynismus: Wiederholte gerichtliche Verurteilungen in derselben Causa, mit anderen Worten ihren gerichtlich festgestellten fortgesetzten Rechtsbruch, erhob die staatliche Medienbehörde zum Beweis für das Funktionieren des Rechtsstaates. Folgerichtig geht der Regierungschef mit falschem Beispiel voran und erklärt schon mal, ein richterliches Urteil nicht zu akzeptieren, weil dieses gegen das Gerechtigkeitsempfinden des Volkes verstoße.

Sinnentleert

Selbst ein Resümee freier und fairer Wahlen tritt als teils sinnentleerte Aussage entgegen. Worüber können die Bürger überhaupt entscheiden? Ungarns Wähler hatten diesmal keine Möglichkeit, eine funktionstüchtige Regierungsalternative zu bestellen: Die Ränkespiele im sozialliberalen Lager haben die Mitglieder dieses Mehrparteienbündnisses selbst zu verantworten. Die absehbare Unregierbarkeit im Szenario einer Abwahl von Fidesz hingegen ist ebendieser anzulasten und bleibt als demokratische Hypothek und wirtschaftliches Damoklesschwert erhalten: Die Leitungsfunktionen machtvoller Agenturen wie der Medienbehörde hat man auf neun Jahre bestellt. Die Verfassung sieht sich zugemüllt durch Inhalte (z. B. konkrete Steuersätze), die durch einfache und daher leichter revidierbare Gesetze geregelt gehörten. Ebenso gravierend erscheint die in keiner anderen Demokratie existierende Amputation der Haushaltssouveränität des Parlaments zugunsten des regierungsdominierten Haushaltsrats auf viele Jahre hinaus. Es ist eine Politik der verbrannten Erde.

"Hunnenrede"

Über allem thront der Glassturz nationalchauvinistischer Rhetorik, mit der die Ungarn aus Regierung und regierungsnahen Medien täglich regelrecht bombardiert werden: Alle anderen sind schuld. Den "Krieg", den die Europäische Union gegen die Bürger Ungarns anzettelte, habe man endlich gewonnen, lässt der Premier jedem Wahlberechtigten ausrichten. Und wenngleich man sich nicht mehr "von den anderen berauben" lasse, stünde manch Endkampf noch bevor, sei das Werk der Befreiung Ungarns noch nicht vollendet (Orbáns Rede aus Anlass des Nationalfeiertags am 15. März dieses Jahres). Man fühlt sich an das Deutsche Kaiserreich im Jahr 1900 erinnert. Manche Rede von Getreuen qualifiziert sich, dem Faible der Nationalkader für abstruse magyarische Abstammungstheorien entsprechend, als "Hunnenrede".

Das ist letztlich das Grundübel an Ungarns gegenwärtiger Politik: Macht ohne Kontrolle, für deren hemmungslosen Gebrauch und seine Folgen niemand einstehen will. Es dominieren Sündenbockpolitik und Verschwörungstheorien, die historisch bedingt auf fruchtbaren Boden fallen. Von der - naheliegenden - Losung "Wo gehobelt wird, fällen Späne" hatte sich Orbán schon bald nach dem Regierungsantritt 2010 verabschiedet.

Die Jungen und Gutausgebildeten haben in den vergangenen vier Jahren scharenweise das Land verlassen, kehrten dem repressiven politischen Klima und wirtschaftlicher Tristesse den Rücken; es betrifft rund eine halbe Million Menschen.

Verweigert

Zuhause feiert sich derweil Wahlsieger Orbán als der Mann, der das Land nicht nur befreit, sondern auch geeint habe. Er ist ein Wahlsieger, der weitgehend ohne Werben und Erklärungen sein Auslangen findet: Eine Teilnahme an einer öffentlichen Diskussion mit Politikern anderer Parteien verweigert er beharrlich. (David Wineroither, DER STANDARD, 8.4.2014)