Die Präsentation der Anwendung "Titstare" hatte für viel Kritik gesorgt - und eine feministische Bewegung in der IT-Branche in Gang gesetzt

Foto: Screenshot/YouTube

Das US-Magazin New Yorker nennt die App den "schlechtesten Witz in der Geschichte der Technologie", für Elissa Shevinsky war sie der Grund für ihren Rückzug aus der IT-Branche: "Titstare", eine Anwendung, die vergangenen September auf dem renommierten TechCrunch Disrupt Hackathon von zwei jungen Programmierern vorgestellt wurde. Titstare sei eine App, "mit der man sich fotografiert, wenn man Titten sieht", erklärten die Entwickler, "it’s the breast hack ever!"

Scharfe Kritik

Für Shevinsky war die Präsentation ein Affront. Ebenso wie zahlreiche andere Entwicklerinnen und Entwickler kritisierte sie die Präsentation auf Twitter und in einem Blogpost. Dann antwortete jedoch ihr Vorgesetzter beim Start-up Glimpse, Pax Dickinson, öffentlich und verteidigte die Anwendung. Ein weiterer Schlag ins Gesicht für Shevinsky, die sich vorher "nicht für Feminismus interessierte, sondern einfach nur programmieren wollte". 

Sexting-App Glimpse

Shevinsky und Dickinson, der auch Chefredakteur des Business Insider war, hatten an einer Art Snapchat mit dem Namen "Glimpse" gearbeitet. Im Unterschied zu Snapchat sollte es bei Glimpse allerdings keine Möglichkeit geben, Screenshots zu machen. Zuerst sei die Anwendung vor allem für das Verschicken erotischer Bilder geplant gewesen, so Shevinsky, später habe man allerdings entdeckt, dass sie für jedwede Art von Nachrichten benutzt werde.

"Brüste zu genießen ist nicht frauenfeindlich"

Dickinson habe sie in der Anfangszeit immer unterstützt, so die Programmiererin. Deshalb habe es sie so enttäuscht, dass er sich mehrfach positiv über Titstare geäußert habe. Dickinson hatte etwa auf Twitter verlautbart, es sei nicht frauenfeindlich "einen sexistischen Witz zu erzählen; es nicht zu schaffen, Frauen ernstzunehmen, oder Brüste zu genießen." Dieser Tweet sorgte schlussendlich für Shevinskys Kündigung, Dickinson musste später übrigens als Chefredakteur von Business Insider zurücktreten.

Symptomatisch

Ein Vorfall, der laut New York Times symptomatisch für die Technikbranche ist: Mehr als die Hälfte der weiblichen Beschäftigten verlassen den Sektor "mid-career", also wenn sie auf der Mitte der Karriereleiter angekommen sind. Zusätzlich sinkt der Anteil weiblicher Informatikstudentinnen konstant, in den USA fiel die Nummer von 37 Prozent  im Jahr 1985 auf nun 18 Prozent.

"Idioten"

Lauren Weinstein, der über vier Jahrzehnte lang in der Branche tätig war und jetzt Google berät, sieht eine "Vielzahl an komplizierten Möglichkeiten", warum der Frauenanteil so gering ist. Aber, so Weinstein: "Ich denke, es gibt einen einfacheren Grund: Diese Jungs sind Idioten, und Frauen wissen das." Sein Arbeitgeber Google versucht vehement, mehr Programmierinnen anzuwerben, schafft es jedoch seit Jahren nicht, die 20-Prozent-Marke zu überspringen.

Start-ups als Brutstätte für Sexismus

Dabei erzeugen große Unternehmen, so die New York Times, generell eine etwas bessere Arbeitsatmosphäre für Frauen: Es gibt mehr Distanz zwischen Kollegen, Personalabteilungen, Gleichstellungsbeauftragten. Im Gegensatz dazu sei Sexismus speziell bei Start-ups ein großes Problem. Etwa, weil die Trennlinie zwischen Kollegen- und Freundschaft oft verschwinde und wenig Regeln herrschten. Das bestätigt Julia Ann Horvath, die im März ihre Stelle bei GitHub gekündigt hatte – Grund dafür: Sexismus.

Männliche Usernamen

"Es herrscht eine negative Atmosphäre", so Horvath, "bei einem Start-up möchte ich doch nicht auf mich aufmerksam machen und dann 'diese' Frau werden, die sich über Sexismus beklagt." Laut Horvath müsse die Tech-Branche "erwachsen werden" und Lösungen finden. Das Problem reicht allerdings noch viel tiefer, so die "New York Times": Mittlerweile nehmen junge Programmiererinnen auf Plattformen wie 4chan oder reddit männliche Usernamen an, um nicht aufzufallen oder belästigt zu werden.

"Kultur unterschiedlicher Meinungen"

Für Shevinsky, die ihren Job wegen der sexistischen Äußerungen ihres Vorgesetzten gekündigt hatte, nahm die Sache ein unerwartetes Ende: Nachdem sich ihr Chef öffentlich und "aufrichtig", so Shevinsky, bei ihr entschuldigt hatte, entschloss sie sich, ihm eine zweite Chance zu geben. Sie arbeiten nun wieder gemeinsam bei Glimpse. Shevinsky möchte die IT-Branche jetzt von innen verändern, aber auch eine "Kultur unterschiedlicher Meinungen" zulassen. (fsc, derStandard.at, 7.4.2014)