Viktor Orbán ist nicht nur einfach ein Siegertyp. Ungarn Premierminister hat vor allem einen riskanten Charakter. Seit seiner triumphalen (Wieder-)Wahl im Jahr 2010, als seine Partei die verfassungsgebende Zweidrittelmehrheit im Parlament errang, hat er sich als ein Politiker erwiesen, der viel mehr will als nur Wahlen gewinnen und regieren.

Das wird sich nach den jüngsten Wahlen nicht ändern. Orbán möchte alles Geschehen in seinem Land dominieren, indem er das Zuwiderlaufende ausschaltet. Er will das Ideal westlicher Demokratien vom ständigen Wechsel, dem Auspendeln der Macht verschiedener Parteien bei gleichzeitigem Gebot des Schutzes von Minderheiten so weit es geht unterlaufen. Ausgerechnet er, der Fidesz-Anführer, der als junger Mann im Frühjahr 1989 gegen den kommunistischen Herrschaftsanspruch, für die Demokratie in Ungarn kämpfte, den Abzug sowjetischen Militärs forderte!

Aber Orbán hat in den 25 Jahren, in denen Ungarn frei und demokratisch wurde, 1999 der Nato und erst 2004 der EU beitrat, eine fast unglaubliche Wandlung durchgemacht: zu einem autoritären Politiker, der Widerspruch nicht duldet. Das Ergebnis von Wahlen ist selbstverständlich zu akzeptieren. Das heißt aber nicht, dass jede Machtausübung unbestritten bleibt.

Auch wenn Orbán seine Ziele mit Mitteln der Demokratie - Verfassungsmehrheit - durchsetzte, blieb stets eine dubiose Intention im Raum; wenn er antisemitische Pöbeleien von Rechtsextremen duldete oder Angriffe von Populisten auf freie Medien sogar förderte. Genau deshalb ist er mit den EU-Partnern, vor allem mit der EU-Kommission als Hüterin der EU-Verträge und der Grundrechtscharta in Konflikt geraten. Erst auf deren Druck hin und nach Erkenntnissen des EU-Höchstgerichts mussten ungarische Gesetze wieder "repariert" - EU-konform gemacht - werden.

Aber das Problem geht tiefer. Orbán hat eigentlich nie zu verstehen gegeben, dass er dies eingesehen hätte, im Gegenteil: Er provoziert immer weiter.

Genau das, dieses innerliche Nicht-Akzeptieren der Regeln einer toleranten freien EU-Demokratie, muss man nun auch für die Zukunft im Auge behalten. Die Gefahren eines "System Orbán" sind nicht nur auf Ungarn beschränkt. Zehn Jahre nach der großen EU-Erweiterung mit der Aufnahme von acht Ländern zeigen sich viel Risse im Verständnis der Demokratie, im Westen, aber vor allem in Osteuropa.

Siehe Slowakei. Dort gibt es mit Premierminister Robert Fico eine Art "Orbán von links". Er ist jedoch vor einer Woche mit dem Allmachtsanspruch seiner Smer-Partei gescheitert. Nicht er, sondern ein Politeinsteiger wurde aus dem Stand Präsident, der Milliardär Andrej Kiska, ein populistischer "Anti-Politiker" - eher kein Zeichen politischer Beständigkeit. Während sich das lange instabile Tschechien nach Korruptionsskandal und Machtwechsel zuletzt etwas zu beruhigen schien, schauen viele auch nach Rumänien, wo der sozialistische Premier Viktor Ponta sich mit allen Tricks und dubiosen Dekreten die Macht sicherte.

In Nachbarschaft der Ukraine sei die "Teil-Putinisierung Mitteleuropas" festzustellen, bemerkte Karl-Peter Schwarz treffend in der Frankfurter Allgemeinen. Vom "Haus Ungarn" oder dem "Haus Slowakei" ist die Rede. Da ist was dran. Fixiert auf die Eurokrise, hatte die Union die Probleme der Demokratie in den neuen EU-Ländern viel zu lange ignoriert. Da ist viel mehr Aufmerksamkeit und Austausch nötig. (DER STANDARD, 7.4.2014)