Panreligiöse Welten, denen man sich nicht entziehen kann: Alejandro Jodorowskys "La montana sacra" (1973).

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Wien - Alejandro Jodorowskys Filme sind panreligiöse Mysterienspiele, popsurrealistische Extravaganzen, psychedelische Happenings, deren Verve selbst den gefestigtsten Rationalisten in die Knie zwingt. Der zur Marketing-Worthülse verkommene Begriff "Kult" passt hier ausnahmsweise, denn wäre er nicht Regisseur geworden - und Comic-Autor und Tarot-Experte und viele andere Dinge mehr -, hätte er auch einen guten Sektenführer abgegeben.

Mit Mitte achtzig erlebt der charismatische chilenische Exzentriker gerade sein Comeback. Letztes Jahr präsentierte er in Cannes mit La danza de la realidad seinen ersten Spielfilm seit 23 Jahren. An der Côte d'Azur wurde außerdem erstmals der Dokumentarfilm Jodorowsky's Dune gezeigt, der die Geschichte von dessen gescheitertem megalomanischem Versuch erzählt, Frank Herberts Science-Fiction-Bestseller zu verfilmen. Dieses Jahr ist zu seinem 85. Geburtstag eine luxuriöse DVD/Blue-ray-Box erschienen (beim Label Bildstörung). Das Wiener Filmcasino zeigt seine beiden Hauptwerke El topo (1970) und La montana sacra (1973) sowie sein Langfilmdebüt Fando y Lis (1968).

Im Gespräch packt Jodorowsky den Zuhörer sofort mit seiner ungebrochenen Energie, seiner Provokationslust und seiner durchaus augenzwinkernden Freude an der eigenen Performance. Man erlebt einen Menschen, der mit sich im Reinen zu sein scheint: "Was soll ich bereuen? Ich war immer eine freie Person, ich habe nicht einen Tag in meinem Leben gearbeitet. Kunst zu machen ist ja keine Arbeit", erzählt er mit funkelnden Augen in einer radebrechenden Mischung aus Englisch, Französisch und Spanisch. "Jeder hat sein eigenes Gefängnis: Sei es die Familie, die Gesellschaft, die Kultur, die Religion, die Nationalität, das Alter. Ich habe keine Nationalität, kein Alter, kein Geschlecht. Ich definiere mich nicht über mein Geschlecht. Nachts mit einer Frau bin ich vielleicht ein Mann, tagsüber nicht."

Brüche und Unsicherheiten

In solchen Sätzen spiegelt sich eine bewegte Biografie, die durch Unsicherheiten, Brüche und Widersprüche geprägt wurde. Jodorowskys Eltern waren ukrainische Juden, die vor dem Antisemitismus in ihrer Heimat nach Chile flohen. Das Verhältnis mit dem Vater - ein leidenschaftlicher Kommunist und Atheist - war schwierig. 1953 entkam Jodorowsky aus dem provinziellen Chile nach Paris. In den 60er-Jahren war er dort Mitbegründer der provokanten Performance-Kunst-Truppe "Panic Movement", schrieb seinen ersten Comic und realisierte sein Filmdebüt Fando y Lis, der sogleich nach der Uraufführung in Mexiko verboten wurde.

Jodorowskys Hochphase waren die frühen Siebzigerjahre, als seine Filme El topo und La montana sacra nicht nur John Lennon begeisterten, sondern mit ihren bewusstseinserweiternden Botschaften den Zeitgeist trafen. Danach wurde es für Jodorowsky schwierig, seine Filmprojekte finanziert zu bekommen.

Larmoyanz ist jedoch nicht seine Sache: "Ich würde weder in der Vergangenheit noch in der Zukunft leben wollen. Unsere heutige Zeit ist so wichtig, weil die menschliche Gesellschaft sich ändern muss. Alles geht den Bach runter: Literatur, Musik, Film, Religion, Politik, alles. Es gibt nichts mehr, an das man glauben kann. Das ist doch großartig! Auf Twitter habe ich mittlerweile 800.000 Follower, jeden Tag werden es 1000 mehr. Bald werden es mehr als eine Million sein - und das bei meinen Ideen. (Sven von Reden, DER STANDARD, 5.4.2014)