Klein und flach: So sehen die Gewässer aus, in denen sich die Westkaspische Schildkröte normalerweise aufhält. Sie scheint aber auch ganz gut mit dem Meer zurechtzukommen, wenn sie dazu gezwungen ist.

Foto: M. Vamberger

Dresden - Die bis zu 24 Zentimeter lange Westkaspische Schildkröte (Mauremys rivulata) ist in weiten Gebieten rings um die Ägäis beheimatet, von Südosteuropa über die westliche Türkei bis nach Israel und Syrien. Als typische Süßwasserschildkröte lebt sie an Seen und Bächen und ist ein Allesfresser.

Da zwischen den einzelnen Verbreitungsgebieten das Meer liegt, sollte man annehmen, dass sich die einzelnen Populationen genetisch auseinanderentwickelt haben. Das ist überraschenderweise aber nicht der Fall, wie das Senckenberg-Forschungsinstitut in Dresden berichtet. Eine im Fachjournal "Zoologica Scripta" publizierte Studie kam zu dem Ergebnis die Schildkröten in ihrem riesigen Verbreitungsgebiet einander genetisch sehr ähnlich sind.

Mit verschiedenen genetischen Methoden untersuchten die Wissenschafter 340 Schildkröten-Proben von insgesamt 63 Lokalitäten, die sich über das gesamte Verbreitungsgebiet verteilten. "Das Erstaunliche ist, dass selbst räumlich weit voneinander entfernte Schildkröten ein nahezu identisches genetisches Muster zeigen", sagt der Dresdner Forscher Uwe Fritz. Zustande kommen kann ein solches Ergebnis nur, wenn es zu genetischem Austausch zwischen den einzelnen Populationen kommt - und der findet offenbar auch über das vermeintlich trennende Meer und Distanzen von hunderten Kilometern hinweg statt.

Schwimmende Stinker

Das wirft die Frage auf, wie die nicht ans Meer angepassten Sumpf- und Süßwasserbewohner das anstellen. Menschliche Mithilfe schließen die Forscher eher aus - und zwar aus einem ganz besonderen Grund: "Mauremys rivulata wurde – im Gegensatz zu anderen Schildkröten – nie gern gegessen, weil diese Tiere furchtbar stinken. Es gab und gibt daher keinen ersichtlichen Grund, die Schildkröten im großen Stil zu transportieren," sagt Melita Vamberger, die Erstautorin der Studie.

So blieb für die Forscher nur noch eine Möglichkeit: "Wir gehen davon aus, dass diese Süßwasserschildkröte regelmäßig über das Meer verbreitet wird. Vermutlich werden Schildkröten immer wieder über Stürme aus ihren Lebensräumen in Küstensümpfen ins Meer verfrachtet und dort können sie offenbar lange überleben. So lange, bis sie irgendwo wieder an eine Küste gespült werden. Dieser gelegentliche Austausch reicht."

Tatsächlich wurde vor einiger Zeit eine Westkaspische Schildkröte auf offener See bei Zypern gefangen, was diese Hypothese unterstützt. Laut Fritz sei es gut möglich, dass auch weitere Süßwasserarten den Weg übers Meer nehmen. (red, derStandard.at, 11. 4. 2014)