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Kein schlimmes Virus: Wenn die Preise fallen, haben nicht nur Verbraucher etwas davon, sondern auch die Gesamtwirtschaft.

Foto: Reuters/Toru Hanai

Auf breiter Front fallende Preise haben eine schlechte Presse. So ist auch in diesen Tagen wieder von einem Deflationsgespenst, Deflationsfallen oder einem verheerenden Deflationssog die Rede. Dabei begrüßen die meisten Konsumenten fallende Preise, wie wir sie im Technologiesektor bei Smartphones, Tablets oder Telefongebühren seit Jahren kennen. Der gesunde Menschenverstand wird auf den ersten Blick fallende Preise wenig nachteilig finden. Und auch der zweite Blick zeigt: Preisdeflation ist gesamtwirtschaftlich unproblematisch.

Es ist ein Mythos, dass fallende Preise Unternehmen von Investitionen abhalten. Damit Unternehmen investieren, müssen sie Gewinne machen, das heißt, ihre Erträge müssen über ihren Aufwendungen liegen. Diese positive Gewinnspanne kann bei höheren und niedrigen Preisniveaus vorliegen. Nehmen wir an, ein Unternehmen hat 100.000 Euro Umsatz und Kosten von 80.000 Euro. Fällt nun das Preisniveau und mit ihm der Umsatz auf 50.000 Euro und die Kosten auf 40.000 Euro, kommt es auf das Gleiche heraus. Zu beachten ist natürlich, dass es bei fallenden Preisen - wie bei anderen Datenänderungen in der Volkswirtschaft auch - zu Umverteilungen kommt.

Einer verliert, einer gewinnt

Einerseits profitieren jene Unternehmen und Haushalte, deren Kosten und Ausgaben schneller oder stärker fallen als ihre Einnahmen. Ein Unternehmen, dessen Kosten schneller als seine Einnahmen fallen, wird seine Investitionen noch steigern. Andererseits verlieren jene Unternehmen und Haushalte, deren Kosten langsamer und schwächer fallen als ihre Einnahmen. Was der eine gewinnt, verliert der andere. Im Aggregat gibt es kein Problem.

Richtig ist, dass in einer Deflation die Schuldner verlieren. Sie haben es bei einem fallenden Preisniveau immer schwerer, ihre nominell fixen Schulden zu bezahlen. Jedoch gilt auch hier, die Verluste der Schuldner werden durch die Gewinne der Gläubiger aufgewogen. Denn die Zinseinnahmen der Gläubiger haben nun eine höhere Kaufkraft.

Neue Eigentumsverhältnisse

Aber würde die Pleite eines Schuldners nicht nachteilig sein? Auch das ist gesamtwirtschaftlich nicht der Fall. Ein etwaiger Bankrott eines Schuldners aufgrund fallender Preise macht die Gesellschaft nicht ärmer. Geht beispielsweise ein Fabrikant pleite, weil er seine Schulden nicht mehr bedienen kann, dann verschwindet die Unternehmensfabrik mit ihren Maschinen nicht. Der Konkurs bedeutet nur eine Umverteilung und neue Eigentumsverhältnisse. Ist der Fabrikant nur aufgrund seiner Überschuldung pleitegegangen, dann werden die neuen Eigentümer die profitable Produktion weiterführen.

Selbstverständlich wollen die Schuldner keine Deflation und malen das Deflationsgespenst in den schrecklichsten Farben an die Wand. Und in unserer überschuldeten Gesellschaft gibt es einige starke Interessengruppen, die bei fallenden Preisen verlieren würden. Vor allem die Staaten als größte Schuldner in der Gesellschaft haben kein Interesse an fallenden Preisen. Auch Finanzintermediäre wie Banken könnten bei Pleiten von Schuldnern erhebliche Verluste erleiden. Ein Staatsbankrott könnte das gesamte Bankensystem mit sich reißen. Mithin fordern die überschuldeten Akteure unisono von der Europäischen Zentralbank (EZB), sie möge bitte schön die böse Deflation bekämpfen. Und um die Deflation zu bekämpfen, muss die EZB die Notenpresse anschmeißen und neues Geld produzieren.

Doch wer bekommt das neue Geld als Erstes? Nun gerade die, die am lautesten gegen die angebliche Deflationsgefahr wettern: Banken und Staaten. Gesamtwirtschaftlich macht uns die Geldproduktion durch die EZB nicht reicher. Es wird ja nur Papier gedruckt oder in Computern gutgeschrieben. Die Anzahl der Fabrikhallen und Maschinen bleibt dieselbe.

Gegen die Sparer

Die Geldproduktion führt jedoch früher oder später zu steigenden Preisen und damit ihrerseits zu einer Umverteilung. Dann gewinnen die Schuldner, wie Staaten, Banken, aber auch überschuldete Unternehmen und Spekulanten. Es verlieren die Gläubiger, vor allem die kleinen Sparer, und Festeinkommensbezieher wie Pensionisten. Bei der Verhinderung von Deflation geht es also nicht darum, ein gesamtwirtschaftlich verheerendes Szenario abzuwenden. Wir täten mithin gut daran, die Deflationsdebatte offen und ehrlich zu führen: als Verteilungsfrage. (Philipp Bagus, DER STANDARD, 4.4.2014)