Schräge Perspektive: Toni Servillo entdeckt in einer Doppelrolle in Roberto Andòs "Viva la libertà" die Politik neu.

Foto: Polyfilm

Wien - Einen designierten Papst, der ausbüchst, hat Nanni Moretti dem Kino schon vor einigen Jahren beschert. In Viva la libertà, den Regisseur Roberto Andò nach einer eigenen Romanvorlage inszeniert hat, kommt nun ein italienischer Senatore, Generalsekretär einer irgendwie linken, abgerockten Oppositionspartei, den Seinen abhanden: Enrico Oliveri (Toni Servillo) reist heimlich nach Frankreich, um sich bei seiner alten Liebe Danielle (Valeria Bruni Tedeschi) zu verkriechen.

Enricos Pressesprecher gerät auf der Suche nach dem Abgängigen unverhofft an dessen Zwillingsbruder. Aus einer spontanen Improvisation wird ein fixes Engagement. Der noch nicht lange aus der Psychiatrie entlassene Philosoph Giovanni, einst Autor eines Buches mit dem Titel Illusion des Lebens, nimmt von allen unbemerkt die Stelle und die Ämter seines Bruders ein. Wenig überraschend wirkt sein unorthodoxer, ungecoachter Zugang in der medialisierten Politwelt und in der politverdossenen Öffentlichkeit gleichermaßen erfrischend und attraktiv.

Als Kontrapunkt zur eigentlich boulevardesken Note einer Verwechslungskomödie hat Regisseur Andò eine sehr gefasste, buchstäblich gedämpfte Inszenierung gewählt. Die Kamera fokussiert auf die handelnden Personen, deren räumliches Umfeld tendenziell verschwimmt. Selbst im Freien, am Meer, klart es nie richtig auf - als würde man die ganze Welt durch die Augen der beiden Melancholiker sehen. "Die lange italienische Nacht geht zu Ende", heißt es einmal - aber visuell findet das nicht wirklich einen Niederschlag.

Was die Geschichte betrifft, so bleibt Andòs Entwurf gegenwärtiger Verwerfungen und möglicher Interventionen dagegen leider recht konventionell und allzu kenntlich. Die eine leere Rede wird von einer anderen - wenngleich verspielteren, kultivierten - abgelöst. Die Annahme, dass sich einem nichtitalienischen Publikum in diesem Zusammenhang nicht jede Anspielung erschließt, liegt nahe. Aber vordergründig wirkt die Vermeidung des Konkreten wie ein Eiertanz.

Meister der Nuance

Zweifellos ist Hauptdarsteller Toni Servillo ein Meister der Nuance. Der Neapolitaner war für seinen Hausregisseur Paolo Sorrentino schon 2008 als Il Divo auf dem glatten politischen Parkett Italiens unterwegs und wurde zuletzt für Sorrentinos La Grande Bellezza mit dem europäischen Filmpreis als bester Schauspieler gewürdigt. Vor allem im ersten Drittel des Films meistert Servillo die Erschaffung zweier charakterlich unterschiedlicher Figuren bravourös - ein leichtes Heben der Mundwinkel genügt da schon fast.

Trotzdem gerät ihm der "nutty professor" Giovanni dann mit der Zeit zu cartoonhaft (in manchen Momenten erinnert dieser an eine Loriot-Figur). Szenen wie jene, in der er in der deutschen Kanzlerin die Tangotänzerin erweckt oder kleine Tics kultiviert, holen den Film doch auf die naheliegende Ebene der Klamotte. (Isabella Reicher, DER STANDARD, 3.4.2014)