Žaklina Radosavljević: "Die Menschen wissen wenig über Roma. Viel zu oft werden Klischees und Stereotype produziert."

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STANDARD: Bei der Vorbereitung auf dieses Gespräch fiel eines auf: Viele Artikel über Roma sind negativ konnotiert. Es geht um Bettlerbanden, Diebstahl, Schulverweigerung, Arbeitslosigkeit und Armut. Liegt das an den Roma, an den Medien oder an der Gesellschaft?

Radosavljević: Ja, es ist leider so. Wenn Roma Thema sind, dann oft nur im negativen Kontext. Natürlich sind die Medien dafür mitverantwortlich - sie beeinflussen ja dadurch auch die Gesellschaft. Viel zu oft werden Klischees und Stereotype produziert. Die Menschen wissen wenig über Roma. Wer nachfragt, hört: Das sind Bettler, arm, Nomaden - oder es gibt seltsam romantisierende Antworten à la "Die haben Musik im Blut" oder die "schöne Zigeunerin".

STANDARD: Gibt es überhaupt "die Roma"?

Radosavljević: Eben nicht. Für manche Teile der Gesellschaft aber schon: Wir sind für sie nur Bettler und Diebe.

STANDARD: Sie sind selbst Angehörige der Roma, haben studiert. Sind Sie eher die Ausnahme?

Radosavljević: Es gibt viele, die eine höhere Ausbildung haben. Nur wird das selten medial dargestellt. Genaue Zahlen gibt es aber keine. Auch deklarieren sich viele Roma in der Öffentlichkeit nicht.

STANDARD: Wie wird das in Ihrer Familie gelebt?

Radosavljević: Wir deklarieren uns schon, aber nicht ausschließlich über unsere Ethnie. Zu Hause wird auch Romanes gesprochen.

STANDARD: Warum deklarieren sich andere nicht?

Radosavljević: Sie haben Angst vor Diskriminierung oder machen es aus Scham nicht mehr, weil ihnen Schlechtes widerfahren ist. Das ist kein Wunder, wenn in der Gesellschaft nur Negatives mit Roma verbunden wird. Wir kennen viele Jugendliche, die aufgrund ihrer Hautfarbe zum Beispiel als "Zigeuner" beschimpft wurden. Was es auch gibt: Wenn der Bruder oder die Schwester in der Schule beschimpft wird, dann geben sich die anderen Geschwister nicht mehr als Roma zu erkennen. Die gehen lieber auf Nummer sicher.

STANDARD: Es gibt ja die Schulmediation für Roma in Wien. Wird hier ausreichend geholfen?

Radosavljević: Na ja, wir haben derzeit vier Schulmediatorinnen, die sich um Roma-Kinder kümmern und in Schulen für Eltern, Lehrer und Lehrerinnen Unterstützung anbieten. Natürlich braucht es mehr. wir wollen zumindest 15 solcher Helfer haben. Aber das ist eine Frage der Fördermittel. Viele Kinder verstecken ihre ethnische Zugehörigkeit nicht mehr, weil die Mediatorinnen wichtige Vertrauenspersonen sind. Den Lehrern ist ebenso geholfen - sie verstehen so die Sorgen und die Problemlagen in den Familien besser.

STANDARD: Ist es für Sie wichtig, dass sich die Leute deklarieren?

Radosavljević: Nein. Ehrlich gesagt ist mir die Ethnie nicht wichtig. Ich wurde so geboren, das spielt für mich keine Rolle. Es ist nur schlecht, wenn man glaubt, sich für etwas schämen zu müssen.

STANDARD: Die schulische Karriere von Roma-Kindern ...

Radosavljević: Stopp! Das hat nichts mit der Ethnie zu tun. Es ist ein soziales Problem. Das betrifft viele Kinder aus armutsbetroffenen Familien, deren Eltern wenig Schulbildung haben. Das Bildungssystem ist auf die Unterstützung der Eltern angewiesen. Fehlt diese, sind die Kinder automatisch im Nachteil. Hier sollte an generellen Lösungen gearbeitet werden. Bis wir die haben, brauchen wir aber unter anderem Maßnahmen für die Roma-Kinder, denn viele von ihnen gehören zu den am meisten Benachteiligten in diesem System.

STANDARD: Und Ihr eigener Bildungsverlauf?

Radosavljević: Bildung wird vererbt. Mein Vater hat studiert, und ich habe auch ein Studium abgeschlossen - wie so viele andere.

STANDARD: Wie groß ist der Antiziganismus in Österreich, also die Feindlichkeit gegenüber Roma und Sinti?

Radosavljević: Wir haben vergangenen Dezember erstmalig einen Antiziganismus-Bericht herausgebracht. Es gibt zig Fälle, die darin dokumentiert sind. Man merkt: Der Antiziganismus ist sehr weit verbreitet. Ich vergleiche ihn immer mit anderen Formen des Rassismus - hier ist es die gezielte Form der Diskriminierung von Roma, hier wird eine Ethnie mit Vorurteilen bombardiert.

STANDARD: Wurden Sie selbst schon einmal ausgegrenzt, beschimpft?

Radosavljević: Nein, denn ich glaube, viele assoziieren Roma mit einer dünkleren Hautfarbe.

STANDARD: Andreas Mölzer, EU-Spitzenkandidat der FPÖ, hält "Zigeuner" für ein "normales Wort".

Radosavljević: Es beleidigt mich persönlich. Es ärgert mich allerdings auch, dass so wenig dagegen unternommen wird. Es wird so stehen gelassen. Dabei ist es eine negative Fremdbezeichnung, die nicht in Ordnung ist. Zigeuner ist kein normales Wort.

STANDARD: Norbert Ceipek, Sozialpädagoge und Leiter der Einrichtung "Drehscheibe", die unbegleitete Kinder und Jugendliche betreut, sagt, dass viele Roma-Kinder zum Betteln nach Europa geschickt würden.

Radosavljević: ... und macht hier einen schweren Fehler. Ceipek generalisiert. Alle Kinder sind Roma? Er weiß das? Woher? Das soll er schwarz auf weiß belegen.

STANDARD: Er beruft sich auf seine Erfahrung bei der "Drehscheibe".

Radosavljević: Er bleibt aber nicht dabei, sondern sagt auch Dinge wie, dass es "den Roma" wichtiger sei, dass ihre Kinder Geld verdienen, als in die Schule zu gehen, oder dass Roma-Dörfer von Clanchefs regiert würden. Er spricht keine Probleme an, sondern reproduziert stereotype Bilder und macht eine sachliche und konstruktive Diskussion über Kinderhandel unmöglich.

STANDARD: Wie kommt man da heraus?

Radosavljević: Es geht um Sensibilisierung. Da gehört in den Schulen angesetzt. Schauen Sie sich die Geschichtsbücher an. Steht da irgendetwas über Roma drin? Da gab es einen kleinen Absatz. Das war zumindest so, als ich ins Gymnasium gegangen bin, und das ist nicht so lange her.

STANDARD: Am 8. April lädt das Parlament anlässlich des internationalen Roma-Tages zu der Veranstaltung "Inklusion der Roma" ein. Ist das ein ehrliches Bemühen?

Radosavljević: Das werden wir noch sehen. Es heißt immer, dass Förderungen da sind. Ich frage mich nur: wo? Es wird leider mehr über uns geredet als mit uns.

STANDARD: Immerhin gibt es die EU-Strategie 2020, die in Bereichen wie Wohnen, Arbeit und Bildung Verbesserungen verspricht. Sind Sie optimistisch, dass es bis dahin tatsächlich spürbare Erfolge gibt?

Radosavljević: Ein Stück weit sicher, doch die allgemeine Verschlechterung der sozialen Situation trifft auch Roma. Ich bin schon gespannt, was danach passiert. Wird im Jahr 2020 diese Agenda einfach zur Seite gelegt? Motto: Fall erledigt, nächstes Thema? Wenn das so ist, wird das alles nicht effektiv sein. (Peter Mayr, DER STANDARD, 4.4.2014)