Trojanows Operama

Unser gegenwärtiges Opernleben ist reichhaltig, aber ist es auch relevant? Auf subjektiv eigenwillige Weise, in einem literarischen Ton, wird Ilija Trojanow die Bedeutung des Musiktheaters heute anhand von aktuellen Aufführungen in Wien und anderswo unter die Lupe nehmen. Und sich immer wieder die Frage stellen, ob und wie sich unsere Zeit in den Inszenierungen widerspiegelt. Hintergrundberichte, Porträts und Interviews runden das Operama ab.

Die Zauberflöte – Wolfgang Amadeus Mozart.
24. März 2014, Komische Oper Berlin

Bild: Oliver Schopf

Als die Bilder laufen lernten, rannte Papageno los.

Mit dem Fahrstuhl zur Grotte der Prüfungen.

Als die Bilder laufen lernten, schlug das Pendel der Zeit aus, zwischen Tamino und Pamina.

Pink Panther – Pink Drink – Pink Ganesh.

Als die Bilder laufen lernten, entfesselte Max Ernst seine Tiermaschinen.

Sarastro hat sich als Abraham Lincoln verkleidet. Der Chor hat sich als Sarastro verkleidet.

Foto: Iko Freese / drama-berlin.de

Derart sind die Assoziationen des Opernkinobesuchers bei dieser Inszenierung von "Die Zauberflöte". Die Theaterkompanie "1927" verschmilzt das Dreidimensionale mit dem Zweidimensionalen. Dies ist Volkstheater heute: Film, Scherenschnitt, Comicstrip, TV-Show (etwa die gezeichneten Szenen bei den Monty-Python-Sketchen). Und Slapstick, inzwischen die dominante Form der Komik. Alles wird gewitzt übersetzt: die Hierarchien in Vertikalen (die Figuren stehen auf unterschiedlich erhöhten Vorsprüngen), die gesprochenen Dialoge in Stummfilm-Zwischentitel. Starke Kontraste sind dieser Oper eingeschrieben, insofern passen diese starken visuellen Kontraste wie angegossen.

Es wird eine dynamische Fantasiemaschine angeworfen, die gierig nach immer neuen Ideen verlangt, sodass gelegentlich ein visueller Overkill entsteht, der keinen Moment der Ruhe zulässt. Diesem Hurrikan fehlt das Auge. Das inszenatorische Selbstbewusstsein überrollt teilweise die Musik. So fasziniert war ich von manchen Bildfolgen, dass ich am Ende einer Sequenz feststellte, dass ich die Musik kaum wahrgenommen hatte.

Am Ende erfolgt ein Rückblick im Schnelldurchlauf auf alle Tableaus der Inszenierung - grandios, ein schnelles Durchblättern des Szenenbuchs, Abschied mit Daumenkino. 

Das Esoterische und Mystische wird zugunsten des Populären und Volkstümlichen aufgegeben. Alle ägyptischen Zeichen und freimaurerischen Codes sind entfernt. Schikaneder hätte seine helle Freude an dieser Inszenierung gehabt, Mozart vielleicht etwas weniger.

Links von mir saßen zwei 18-jährige Mädchen, die begeistert klatschten (zum ersten Mal in meinem Leben war ich in einer Oper nicht jünger als der Altersdurchschnitt), rechts von mir ein 80-Jähriger, der kein einziges Mal seine Hände bewegte, auch nicht beim Schlussvorhang.

Höhepunkt: Die Satire auf die industrielle Nahrungsmittelproduktion und -zubereitung, vom Brutkasten zum Grillhendl in drei Sekunden, Tantalos meets Kentucky Fried Chicken.

Coda: Als ich zu Hause die CD einlegte, sah ich die Bilder vor dem inneren Auge, angefangen mit dem im Stand davonrennenden Papageno. (Ilija Trojanow, derStandard.at, 2.4.2014)