Für Rektor Heinz Engl sind Uni-Rankings zwar umstritten, bringen aber "gewisse Trends zum Ausdruck". Außerdem würden sich internationale Firmen bei der Mitarbeitersuche daran orientieren.

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STANDARD: In den letzten Tagen und Wochen herrschte einige Unklarheit über die Budgets für die Wissenschaft nach 2015. Wissen Sie mehr?

Engl: Nein. Auch wir schwanken quasi tagesaktuell zwischen Optimismus und großem Pessimismus. Die Summen, die das Wissenschaftsministerium öffentlich genannt hat, um die finanzielle Ausstattung der Universitäten und anderen Forschungsträger zu verbessern – also 1,6 Milliarden Euro zusätzlich für die Jahre 2016 bis 2018  – sind jedenfalls begrüßenswert und decken sich im wesentlichen mit Berechnungen und Wünschen der Universitätenkonferenz.

STANDARD: Was passiert, wenn es die 1,6 Milliarden nicht geben wird, sondern weniger Geld?

Engl: In den vergangenen 10 bis 15 Jahren wurde in der österreichischen Wissenschaft viel aufgebaut, und das Forschungssystem von heute steht im Vergleich zu dem vor 20 Jahren sehr viel besser da. Solche Aufbauphasen dauern lange, ruinieren kann man so etwas hingegen sehr schnell. Und damit würde man im Grunde auch die in den letzten Jahren getätigten Investitionen wieder obsolet machen. Im Speziellen haben wir Probleme im Gebäudebereich und mit der veraltenden Geräteausstattung. Gerade Spitzenforscher in den Naturwissenschaften sind auf modernste Infrastruktur angewiesen.

STANDARD: Warum braucht es so viel mehr Geld für die Universitäten?

Engl: Grundsätzlich würden uns die zusätzlichen Mittel dem deklarierten Ziel näherbringen, bis 2020 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Hochschulsektor auszugeben – was als Minimalerfordernis allgemein anerkannt ist. Konkret brauchen wir das Geld zur Inflationsabgeltung, für mehr Professuren und Laufbahnstellen, um Studenten besser betreuen zu können und zur Stärkung der Forschungsinfrastruktur. Aber auch die ÖAW und der Wissenschaftsfonds FWF, um den ich aktuell besonders besorgt bin, brauchen mehr Budget.

STANDARD: Warum sind sie um den FWF besonders besorgt? Dessen Budget betrifft die Universitäten ja nur indirekt.

Engl: Es wäre völlig kurzsichtig, sich damit zufrieden zu geben, dass die Universitäten halbwegs ausreichend finanziert sind. Wir brauchen den FWF, weil dadurch Projekte möglich werden, die wir mit eigenen Mittel nicht finanzieren könnten und die einer strikten internationalen Qualitätskontrolle unterworfen werden. Im Vergleich zum Schweizer Nationalfonds oder der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist der FWF relativ und absolut deutlich unterausgestattet. Das zeigt sich auch bei den Bewilligungsquoten, die bei knapp über 20 Prozent liegt. Wird es noch weniger, stellt sich in jeder Hinsicht die Sinnfrage. Es muss also ein großes Ziel aller Universitäten sein, den FWF besser auszustatten, weil er einen wichtigen Beitrag zu Qualitätsverbesserung der Forschung leistet und uns hilft, Spitzenforscher in Österreich zu halten.

STANDARD: Wie groß ist die Gefahr, dass Topforscher ohne diese Drittmittel gehen?

Engl: Faktum ist, dass wir in den vergangenen Jahren durch Wittgensteinpreise, Spezialforschungsbereiche und zuletzt durch die ERC-Grants einige Forschungsbereiche bis zur Weltspitze führen konnten. Man denke nur an die Quantenphysik in Wien und in Innsbruck. In diesen Forschungsbereichen locken aufstrebende asiatische Länder wie Singapur oder China Forscher mit riesigen Budgets. Und gerade Wissenschafter auf Weltklasseniveau sind sehr mobil.

STANDARD: Eine Begründung für die zusätzlichen 1,6 Milliarden Euro war, dass Österreichs Universitäten in den internationalen Rankings zurückgefallen sind. Was halten Sie von diesen Ranglisten?

Engl: Universitätsrankings sind nicht zuletzt deshalb wichtig, weil sie beachtet werden. Es gibt internationale Unternehmen, die mit Absolventen von Universitäten jenseits der ersten 200 Plätze gar keine Bewerbungsgespräche führen. Und auch erstklassige chinesische Universitäten kooperieren mittlerweile nur mit jenen Universitäten, die im Ranking gut abschneiden. Und auch wenn die Rankings nur auf wenigen Indikatoren beruhen und deshalb inhaltlich umstritten sind, bringen sie doch gewisse Trends zum Ausdruck.

STANDARD: Der Trend der Universität Wien in den letzten Jahren war eher ein negativer. Woran lag das?

Engl: Dass die Universität Wien, die nach wie vor die bestplatzierte österreichische Universität ist, heute weiter hinten rangiert als vor fünf oder sechs Jahren, hängt in erster Linie am schlechter gewordenen Betreuungsverhältnis: Während in den letzten Jahren die Zahl der Studierenden stark stieg, hielt die Zahl der Lehrenden damit nicht Schritt. Sieht man sich aber die Rankings nach Disziplinen und Forschungsoutput an, dann steht die Universität gut da: In Fächern wie der Mathematik oder der Physik, aber auch in der Philosophie oder der Linguistik gehören wir jedenfalls zu den Top 50 bis 100 und in Kontinentaleuropa zu den allerbesten.

STANDARD: Zuletzt gab es auch noch ein Uni-Ranking nach Reputation. Und auch da fiel die Universität Wien um zehn Plätze auf einen zwischen 110 und 120 zurück.

Engl: Diese Rangliste spiegelt meines Erachtens stärker die politische Diskussion wider: Dass in Österreich die Unterfinanzierung die Universitäten ständig Thema war, wirkt sich natürlich auch auf die Wahrnehmung bei ausländischen Wissenschaftern aus, die im Reputationsranking befragt werden.

STANDARD: Die schlechten Betreuungsverhältnisse ließen sich auch durch Aufnahmebeschränkungen lösen, die im Moment aber nur in Ausnahmefällen möglich sind. Wie sollte man solche Beschränkungen administrieren – wenn sie denn kommen sollten?

Engl: Mein Instrument der ersten Wahl wäre nicht eine punktuelle Ausnahmeprüfung. Es hat sich meiner Ansicht nach die Studieneingangs- und Orientierungsphase gut bewährt, zumindest nach den mittlerweile erfolgten Verbesserungen. Ich halte sie  für ein faires Instrument, das aber derzeit nicht für quantitative Regelungen gebraucht werden kann –  dafür aber jedenfalls besser geeignet wäre, als Aufnahmeprüfungen, bei denen es doch auch stark auf die Tagesform ankommt. Und über Kapazitätsregelungen wird man über kurz oder lang nicht herumkommen, wenn die Kapazitäten nicht beträchtlich aufgestockt werden können.

STANDARD: Sie haben sich zuletzt dafür eingesetzt, dass Österreich für Nachwuchsforscher aus dem Ausland attraktiver wird. Warum?

Engl: Es kommt darauf an, dass bei den jungen Wissenschaftern sich die Abgänge und Zugänge sich die Waage halten. Und das gelingt uns im Moment nicht in ausreichendem Maß – was im übrigen auch auf europäischer Ebene im Vergleich zu den USA gilt. Es geht dabei nicht darum, genau die Wissenschafter, die bei uns studiert haben und ins Ausland gegangen sind, wieder aus dem Ausland zurückzuholen. Die Gesamtsumme muss stimmen, und wir müssen von einem Brain-Drain wieder zu einer Brain-Circulation kommen. Aber im Moment ist der Zustrom nach Österreich geringer als die Zahl Abgänge.

STANDARD: Woran liegt das?

Engl: Das war in den letzten Jahren sicher auch eine Folge unserer Karrieremodelle in der Wissenschaft, die nur zeitlich begrenzten Anstellungsverhältnisse zuließen und keine langfristige Zukunftsplanung. Wichtig ist, den jungen Forschern relativ früh sagen zu können, ob sie eine Dauerstelle kriegen können oder nicht. In Harvard, am MIT und anderen US-Unis weiß man, unter welchen Bedingungen man Chance auf eine Dauerstellung hat. Hier in Europa hat man hingegen sehr lange Phasen der Unsicherheit.

STANDARD: Das müsste nicht sein. In Österreich gibt es zusätzlich zu den begrenzten Anstellungen seit einiger Zeit ein Laufbahnstellenmodell, von dem aber bisher nicht allzu viel gebraucht gemacht wurde, zumal an der Universität Wien.

Engl: Wir haben bis jetzt etwa 60 solcher Laufbahnstellen – von 950 in ganz Österreich. Das hat auch damit zu tun, dass wir junge Forscher nicht unmittelbar nach der Dissertation in so eine Dauerstelle übernehmen. Unser eigenes Laufbahnstellenmodell beginnt erst einige Jahre nach dem Doktorat. Diese Stellen werden international ausgeschrieben, sie sollen auch für Wissenschafter  aus dem Ausland attraktiv sein. Wir haben damit erst vor relativ kurzer Zeit begonnen. Es soll aber stark ausgebaut werden. Und wie die ersten Erfahrungen zeigen, bewerben sich tatsächlich Leute aus aller Welt.

STANDARD: Die Chance für Absolventen mit einem Doktorat, einmal Professor zu werden beträgt einer Studie der Royal Society in den Naturwissenschaften 0,45 Prozent. Die meisten wandern in die Industrie ab. Ist diese sogenannte Doktorandenblase ein Problem?

Engl: Nach der Dissertation in die Industrie zu wechseln, ist ein durchaus normaler Weg, und ich sehe darin überhaupt keine Tragödie. Es gibt dort großes Interesse an wissenschaftlich ausgebildeten Leuten mit einem Doktorat oder mit Post-Doc-Erfahrung – gerade in Bereichen wie Chemie, Physik oder Informatik. Ich habe in etwa 40 Doktoranden in Industriemathematik ausgebildet, von denen immerhin etwa 20 Professoren wurden. Die anderen sind in der Industrie in guten Positionen. Es muss nur für die Studenten von vornherein klar sein, dass man ein Doktorat macht, um sich wissenschaftlich zu qualifizieren und ein weites Berufsfeld zu haben. Die Chancen auf Karrieren in der Industrie oder der Wirtschaft sind aber natürlich nicht in allen Fächern gleich.

STANDARD: Sehen Sie umgekehrt an der Schnittstelle zwischen den Universitäten und der Wirtschaft ein Verbesserungspotenzial?

Engl: Durchaus. An der Universität Wien haben wir noch einen gewissen Entwicklungsbedarf, daran arbeiten wir, auch hinsichtlich der generellen Einstellung zu Kooperationsmöglichkeiten mit der Wirtschaft. Die Universität Linz, an der ich lange eine Professur für Industrial Mathematics hatte, ist diesen Weg sehr erfolgreich gegangen. Ich habe damals viel mit der Industrie kooperiert, was im Übrigen auch zu vielen wissenschaftlichen Publikationen geführt hat. Am Anfang standen bei mir Projekte mit der Christian Doppler-Gesellschaft, die man meines Erachtens weiter stärken müsste, weil sie genau diese Linie verfolgt: universitäre Grundlagenforschung unter industrieller Mitfinanzierung zu betreiben. Entscheidend dabei ist, dass die Universitäten keine verlängerte Werkbank der Industrie werden. Das müssen längerfristig angelegte Projekte sein – mit Firmenpartnern, die verstehen, wie Grundlagenforschung funktioniert und was sie davon haben.

STANDARD: Bevor die Universität Wien nächstes Jahr ihr 650-Jahr-Jubiläum feiert, gibt es heuer auch ein kleines Jubiläum: Seit zehn Jahren ist das neue Universitätsgesetz in Kraft, das den Universitäten mehr Autonomie übertrug. Wie sieht Ihre Zwischenbilanz aus?

Engl: Die Autonomie hat eindeutige Vorteile und Fortschritte gebracht: Wir können etwa sehr viel rascher und flexibler bei hochkarätigen Berufungen reagieren – und Berufungen sind mit das wichtigste in der Tätigkeit eines Rektors. Ich bin mir nicht sicher, ob einige der rezenten Berufungen auch unter den Bedingungen des alten Universitätsgesetzes gelungen wären. Die Autonomie in Finanz- und Budgetfragen ist natürlich immer mit Rechnungslegung und Verantwortung verknüpft. Und das Geld, das wir vom Ministerium für drei Jahre erhalten, ist an genaue Ziele gebunden.

STANDARD: Begrenzen diese Zielvereinbarungen die Autonomie nicht sehr stark?

Engl: Ich halte das prinzipiell für ein gutes Modell: Man entwickelt gemeinsam mit dem Ministerium Ziele, die dann verfolgt werden. Dieses Wechselspiel funktioniert gut, und ohne die Autonomie hätten sich die Universitäten zweifellos schlechter entwickelt. Es hängt aber natürlich immer auch an den jeweiligen Personen in den Leitungsfunktionen und ihren Managementfähigkeiten.

STANDARD: Eine Hauptkritik am UG war, dass es eine Entdemokratisierung gebracht hätte.

Engl: Man darf in dem Zusammenhang aber auch nicht vergessen, was die frühere Gremialuniversität war: nämlich eine bloße Antragsdemokratie. Mit anderen Worten: Man konnte man in Gremien abstimmen, welche Anträge man etwa in Sachen Budget an das Ministerium stellt. Die eigentlichen Entscheidungen sind dann aber zentral, im Ministerium gefallen. Wir bemühen wir uns an der Universität Wien aber auch darum, eine faktische Redemokratisierung durchzuführen, bei Wahrung der Verantwortungsstrukturen. Mit 9000 Bediensteten ist das natürlich nicht einfach. Wir haben aber zum Beispiel heuer erstmalig die Fakultätskonferenzen in die Zielvereinbarungsgespräche mit den 19 Dekanen  eingebunden.

STANDARD: Im Mai wird über Ihre Weiterbestellung entschieden. Die Amtsperiode von Rektoren dauert vier Jahre. Ist das lange genug, um etwas bewirken zu können?

Engl: Um etwas bewirken zu können, braucht man vielleicht mehr Zeit. Vier Jahre sind aber Zeit genug für eine Einschätzung der Arbeitsweise. Um im Interesse der Universität weiter arbeiten zu können, benötigt man das Vertrauen der universitären Gremien. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 2.4.2014)