Wenn ein Sumo-Roboter zu Beginn des Kampfes weiße Segel ausklappt, ist das kein Friedensangebot: Das Manöver soll den Gegner verwirren.

Foto: Simon Hellmayr

Wien - Beethoven. Die Ode an die Freude baut sich noch etwas zögerlich aus den Klängen auf, die aus dem Keyboard tönen. Nicht mit Verve, aber exakt treffen die Finger die richtigen Tasten. Finger, die aus Metall gefertigt sind. Sie gehören zu einem kopflosen Torso mit zwei Händen. Rohmus heißt der mechatronische Pianist, der bei der diesjährigen RobotChallenge am vergangenen Wochenende in der Wiener Aula der Wissenschaften sein Können zeigte.

Rohmus ist ein Mexikaner. Sein Erbauer, Miguel Adad Martinez Genis, hat zwei Jahre damit verbracht, Finger, Arme und Torso selbst zu fertigen, den Musiknoten Bewegungsmuster zuzuordnen und die entsprechenden Codezeilen zu schreiben, die den Roboter Schwanensee oder Bachs Menuett in G-Dur aus seiner Musikbibliothek spielen lassen. Er habe die Physiologie und Anatomie von Armen und Händen studiert und mit Klavierlehrern gearbeitet, um die Bewegungen reproduzieren zu können, sagt Martinez Genis.

Was ursprünglich im Rahmen eines Uniprojekts für das Mechatronik-Studium in Mexiko-Stadt begann, ist aber noch lange nicht fertig: "Zurzeit arbeite ich am Kopf", sagt der Erfinder. Künstliche Augen sollen Fingerspiele in der Luft verhindern und Rohmus erkennen lassen, wo sich die Tastatur befindet. Per Spracherkennung soll er künftig mit seiner menschlichen Umgebung interagieren.

Rohmus war einer der Stars der heurigen Freestyle-Ausstellung bei dem seit 2004 bestehenden jährlichen Wiener Roboter-Bewerb. Zu Beginn sei die Veranstaltung eine Privatinitiative und "Spinnerei" mit sieben Robotern gewesen, erzählt Roland Stelzer von der Österreichischen Gesellschaft für innovative Computerwissenschaften (Innoc), die den Event mittlerweile gemeinsam mit dem Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium organisiert.

Zehn Jahre danach ist der Event ein Fixpunkt einer internationalen Szene. Knapp 800 Teilnehmer aus 46 Ländern traten an, um ihre 574 autonom navigierenden, softwaregesteuerten Kreationen auf Rädern, auf künstlichen Beinen oder in der Luft gegeneinander antreten zu lassen. Das sei keineswegs nur etwas für "Top-Nerd-Hacker", sagt Stelzer. Bei Einstiegsbewerben würden sich bereits Zehnjährige mit Lego-Autos matchen, die selbstständig einer Linie auf dem Boden folgen können. Es gehe nicht um "Rocket-Science", sondern darum, das Thema in die Öffentlichkeit zu tragen.

Die Entdeckungsreise im Roboterland führt von der Gerätschaft, die selbsttätig Seifenblasen in die Luft bläst, zu jenem Fahrzeug, das sich Statuen im Park sucht, um sie automatisch zu reinigen. Ein Gerät polnischer Studenten führt einen in einer Metallplatte fixierten Stift blitzschnell über ein Blatt Papier und fertigt auf diese Art Zeichnungen nach Fotos an, die man dem angeschlossenen Laptop füttert. Ein französischer Haushaltsroboter auf Basis der italienischen Open-Source-Plattform Arduino erkundet Wohnräume und misst Temperatur, Feuchtigkeit und CO2-Gehalt der Luft, um die Heizung zu optimieren. Er war Gewinner des erstmals ausgetragenen "Hack the Arduino Robot!" -Bewerbs.

Sumoringen der Roboter

Eine Kerndisziplin des Roboterwetteiferns sind die sogenannten Sumo-Bewerbe. In verschiedenen Gewichtsklassen versuchen die autonom agierenden Gefährte, sich gegenseitig aus dem Ring zu werfen. Gibt der Schiedsrichter per Fernbedienung das Signal, stemmen sich die Roboter gegeneinander, verfolgen sich im Kreis oder überschlagen sich bei den Kollisionen. Manche klappen bei Beginn eines Kampfes weiße Segel aus, um die Sensoren des Gegners zu irritieren.

Oleg Lyan von der Klaipeeda-Universität in Litauen schwört bei seinem Sumoringer, der in seiner Gewichtsklasse maximal 500 Gramm auf die Waage bringen darf, auf eine niedrige Konstruktion mit schwerer Bodenplatte und eine abgeflachte Rampe von 27 Grad. Das Geheimnis des Erfolgs - Lyans Ringer hat gerade eine ganze Reihe von Kollegen aus dem Ring bugsiert - sei eine besondere Sensorkonfiguration, erklärt der Roboterbauer. Die Information, welcher Sensor den feindlichen Ringer wo zuletzt wahrgenommen hat, fließe entscheidend in die Aktionen ein, die die Maschine setzt. Dennoch bestehe sein Sumo-Roboter nur aus günstigen Bauteilen, bestellt aus dem Internet oder selbst im 3-D-Drucker gefertigt. Mit 100 Euro komme man aus, erklärt Lyan. Wichtig sei, Energie, Hardware und Algorithmen "in die richtige Balance zu bringen".

Aber auch die Litauer müssen sich schlussendlich geschlagen geben. Denn die unumschränkten Robotermeister sind bereits das vierte Jahr in Folge die Teams aus Polen. Dort seien die Roboterkämpfe äußerst populär, erklären Konrad Stefanski und Lukasz Sarzyrski von der AGH, der Wissenschaftlich-Technischen Universität in Krakau, während sie wie zig weitere Teilnehmer im Teambereich zwischen aufgeklappten Notebooks und Werkzeugkästen an ihrem Roboter herumschrauben. Einer ihrer Roboter hat im ersten Bewerb alle Kämpfe gewonnen, erklären die beiden. In ihrem Land gebe es allein drei internationale Wettbewerbe. Nach Wien kommen nur Teams, die gute Chancen haben.

Zweieinhalb Jahre haben die beiden an einem Roboter gebaut. Ihr siegreiches Konzept basiert auf Informationen von fünf digitalen optischen Sensoren, aus denen in nur 1500 Codezeilen die passenden Manöver abgeleitet werden.

Was die Roboter der Polen so überlegen macht, fragen sich auch Johannes Hirsch und Bernd Fuchs. Die beiden RobotChallenge-Neulinge studieren Automatisierungstechnik an der FH Oberösterreich in Wels und arbeiten seit Herbst an ihrem Roboter. Wichtig sei, "alles auf möglichst wenig Platz unterzubringen", sind sich die beiden einig. Wählt man aber kleinere Motoren, bringen die auch weniger Kraft auf den Boden.

"Einmal hat es geraucht"

Bei der Arbeit an ihrem Sumoringer stand das Team beispielsweise vor dem Problem, Sensorsignale von Störungen zu unterscheiden. "Beim Beschleunigen des Motors schlug immer der Sensor an", erzählen die beiden von den Schwierigkeiten, mechanische und elektronische Komponenten auf kleinstem Raum zu integrieren. "Einmal hat es geraucht. Aber das war noch beim Zusammenbauen."

33 Roboter aus Österreich nahmen heuer teil, und erstmals ging das Gastgeberland im Medaillenspiegel leer aus. Polen siegte mit acht Medaillen vor Lettland und Italien. Angesichts des konzentrierten Herumschraubens beispielsweise an der selbststeuernden Flugdrohne, die ohne das schützende Netz mit dem Schiedsrichter kollidiert wäre, wird aber schnell klar, dass Medaillen zweitrangig sind. Hier geht es eindeutig ums Tüfteln, nicht ums Gewinnen. (Alois Pumhösel, DER STANDARD, 2.4.2014)