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Wohl nur verhaltene Freude bei Manuel Valls: Auf Frankreichs Neo-Premier warten schier unlösbare Aufgaben.

Foto: REUTERS/Christian Hartmann

Ein neuer Tony Blair? Ein weiterer Matteo Renzi? Gar ein französischer Gerhard Schröder? Viele Pariser Kommentatoren fragten sich am Dienstag, welche Wirtschaftspolitik der am Vorabend designierte Regierungschef Manuel Valls wohl verfolgen werde. Der 51-jährige Sozialist gehört als "Realo" zum rechten Flügel seiner Partei. Als Innenminister vertrat er eine harte Haltung. Ökonomisch ist sein Profil weniger bekannt, aber ebenso deutlich: deutlich anders als die offizielle Linie des Parti socialiste (PS).

Bei den internen Vorwahlen 2011 fiel Valls mit unorthodoxen Ideen auf, die damals bloß fünf Prozent seiner Genossen goutierten: So schloss er die Rückkehr zum Pensionsalter von 60 Jahren aus. "Das hieße, die Franzosen zu belügen", meinte er zum Versprechen von François Hollande, das vom damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy auf 62 Jahre erhöhte Limit rückgängig zu machen.

Geradezu ikonoklastisch äußerte sich Valls zu der von den Sozialisten eingeführten 35-Stunden-Woche, die unter Ökonomen als ursächlich für den Krebsgang der französischen Wirtschaft gilt: Er schlug bereits 2011 vor, diese um zwei, drei Stunden zu erhöhen, die Löhne aber im gleichen Umfang anzuheben. Ein solches Vorhaben war sogar für den Konservativen Sarkozy zu brisant.

Kritik von linken Parteien

Nicht verwunderlich, reagierte die Linke am Dienstag auf Valls' Berufung kritischer als die bürgerliche Rechte: Marie-Noëlle Lienermann vom linken PS-Flügel meinte, ihre Partei habe bei den Kommunalwahlen am Sonntag eine Niederlage erlitten, weil die Staatsführung unter Hollande zu wenig sozial sei; der Sozialliberale Valls sei genau die falsche Antwort. Die Grünen, seit 2012 treue Regierungspartner unter dem bisherigen Premier Jean-Marc Ayrault, wollen unter Valls nicht mehr mitmachen.

Valls wird darauf keine Rücksicht nehmen; dies nicht einmal so sehr wegen seiner sozialliberalen Überzeugung, die bei ihm stärker ausgeprägt ist als beim schwammigeren Hollande: Weder Valls noch sein zukünftiger Wirtschafts- und Finanzminister haben auch nur minimalen Spielraum für Sozialmaßnahmen.

Die französische Wirtschaft ist in einer bedenklichen Lage, während im EU-Raum seit einigen Wochen Anzeichen eines leisen Aufschwungs zu verzeichnen sind. Die rekordhohe Arbeitslosigkeit von über elf Prozent steigt weiter. Hollande verfehlte sein Versprechen, die Arbeitslosenkurve bis Ende 2013 umzukehren. Bei den EU-Wahlen im Mai winkt den Sozialisten ein ähnliches Debakel wie am vergangenen Sonntag.

Am Montag gab es eine weitere Hiobsbotschaft: Das Budgetdefizit 2013 betrug 4,3 Prozent: 0,2 Punkte mehr als mit Brüssel vereinbart. Auch Hollandes Versprechen, die Neuverschuldung bis 2017 auf null zu drücken, ist unrealistisch. Der Grund: Die Steuereinnahmen fielen mangels Wachstums niedriger als erwartet aus. Hollande verlangt aber von Valls, die Steuern zu senken. Zudem soll er 50 Milliarden Euro an Ausgaben einsparen und die Unternehmensabgaben senken. Der einzige gangbare Weg wäre die Senkung der Staatsabgaben im gleichen Ausmaß. Ein solch drastisches Sparprogramm hatte selbst die Rechte nie in Erwägung gezogen.

Politisches Dynamit

Valls hat keine Wahl: Er muss die Mittel für Sozialhilfe, Beamte und Gemeinden kürzen. Das birgt dreimal politisches Dynamit. Gelingt dem ehrgeizigen Neo-Premier diese Herkulestat, wird er als großer Reformer dastehen - und Hollande für die Präsidentschaft in die Quere kommen. Valls' größtes Hindernis ist die Opposition: allerdings nicht die Rechte, sondern die in der eigenen Partei. (Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 2.4.2014)