Wien - Programmheftformulierungen sind (genauso wie Zeitungskritiken) manchmal ein gefundenes Fressen. Bei den Biografien zum jüngsten Jeunesse-Konzert im Musikverein hieß es: "Das Radio-Sinfonie-Orchester Frankfurt (hr-Sinfonieorchester) gehört in die Reihe der besten europäischen Orchester." Aprilscherzend ließe sich fragen: Warum ist es dann nicht dort? Im Ernst: Der Wahrheitsgehalt dieses Satzes hinge nicht zuletzt davon ab, wie lange man diese Reihe ansetzt.

Zweifellos hat Paavo Järvi dem traditionsreichen Klangkörper in den letzten sieben Jahren einen ähnlichen Stempel aufgedrückt wie zuvor der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen. In hohem Maß hat er also die Bereitschaft zu spontaner Pointiertheit geweckt. Eigentlich hätte der scheidende Chefdirigent auch den Wiener Auftritt leiten sollen. Nun wurde er, ungewöhnlich genug, von seinem Vater Neeme Järvi beerbt. Wer da was gesät und geerntet hat, wurde somit nicht ganz klar. Doch das Ergebnis war profiliert genug - und eine erfrischende Gegenposition zum temperierten Wohlfühlsound, den der Komponist Helmut Lachenmann als "philharmonisches" Musizieren beschrieben hat.

Dass das Violinkonzert von Johannes Brahms ganz ohne Bart erklang, lag nicht bloß an der Solistin Hilary Hahn, die ihr makellos durchgeformtes Spiel in den Dienst ruppiger Akzentuierung und herb-sinnlicher Farbigkeit stellte. Es lag vor allem am schnörkellos-unsentimentalen Orchester, das auch bei der 3. Symphonie von Anton Bruckner trotz mancher Intonationstrübung in den Bläsern immer gleichsam auf der Stuhlkante spielte, während Järvi sicheren Überblick mit dem Mut zur kleinen, überzeugenden Geste vereinte.

Insgesamt gehörte das Gebotene in die Reihe jener Konzerte, die abseits des gemächlichen Hindümpelns im lauwarmen Saft der hehren Tradition aufhorchen lassen. Man darf gespannt sein, welche Wege Andrés Orozco-Estrada, der designierte Chefdirigent des RSO Frankfurt, ab der kommenden Saison einschlagen wird. (Daniel Ender, DER STANDARD, 1.4.2014)