Im Jahr 1974 debütierte der VW Golf, der seit 40 Jahren die Bestseller-Listen dominiert. Ebenso lang versuchen Konkurrenten aller Länder, den Primus zu stürzen: Eine Parade der gescheiterten Konterrevolutionäre

Er ist das Ur-Meter, Eichmaß und der Namensgeber für eine automobile Klasse: Der VW Golf. Im Jahr 1974 und damit vor 40 Jahren debütierte die größte anzunehmende Sachlichkeit im europäischen Automobilbau. Die Meriten, die sich der Golf erworben hat, sind sonder Zahl: Die Überwindung eines Käfer-Nachfolge-Traumas. Der Ausbau des knackigen Fließhecks Richtung Volkssport (GTI, 1975). Eine smarte Diesel-Option für alle ab 1976. Und schließlich 1979 das Cabriolet (samt Henkel).

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Dass in der Golf-Historie einige Irrwege passiert sind, tat dem Erfolg keinen Abbruch: Wir erinnern uns an reichlich kopflastige VR6-Geschwüre, die Erfindung des Pumpe-Düse-Nagelns bei Diesel-Motoren (quasi der amtliche morgendliche Weckruf in den Einfamilienhaus-Siedlungen der Republik), das Verwässern des GTI-Gedankens über mehrere Generationen hinweg und eine teils indifferente Modellpolitik: Da hinkte das bestens eingeführte Cabrio manchmal eine Generation hinter dem Verlöteten her, an das Thema Kombi traute man sich erst 1993 ran, beim Golf V legte man wegen dem mäßig erfolgreichen Golf Plus-Van sogar eine Pause ein.

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Dafür kamen Syncro-Allrad-Option bzw. 4Motion mit dem Golf II deutlich früher, als bei anderen Kompaktklasslern an. Mit dem Golf Country lieferte man im Jahr 1990 gar einen ersten Eindruck ab, wie der SUV-Trend ein paar Jahre später aussehen könnte. (Drama des Frühgeborenen: Der Aufbock-Golf floppte übel.)

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In Österreich ist der Golf seit Jahrzehnten ein Synonym für die Nummer eins in den Zulassungslisten, und das obwohl der Wolfsburger nicht immer das beste und schon gar nicht das günstigste Angebot war. Die Gründe im Schnelldurchlauf:

  1. Der Österreicher war noch nie ein mutiger Autokäufer. Seine Thrills heißen Wiederverkaufswert und Rauchsilberlackierung.
  2. Ein VW-Händler ist in diesem Land immer ums Eck.
  3. Mit dem GTI gelang es über Jahrzehnte hinweg, die Jugend für das Angebot zu begeistern. (Ist in Zeiten von Gran Turismo 6, WhatsApp und Revenge-Porn nicht mehr so relevant.)
  4. Zarter Nationalstolz - Ferry Porsche und Piëch sind ja doch von der heimatlichen Scholle.
  5. Der Golf ist ein Golf ist ein Golf. Eine Auto gewordene Tautologie über sieben Generationen hinweg. Ein Soliditäts-Versprechen, das noch in den Zeiten des Käfer wurzelt.
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Doch Österreich ist bekanntlich nicht die Welt, genauer Europa. Hier stellten den Meistverkauften nicht selten die Franzosen (Peugeot 206 und 207, zum Beispiel). 2005 und 2006 war gar der angeblich ewige Zweite, der Opel Astra, Europas Bestseller. Doch meist war er vorn: Der VW Golf. Nicht weniger oft vorn, zumindest am Cover diverser Automagazine und Auskennerzeitungen, waren jene Konkurrenz-Modelle, die dem Golf in die Parade fahren wollten. Beliebte Titel aus der Journalismus-Stanze waren und sind "Ist er der neue Golf-Schläger?", "Jetzt kommt der Golf-Schläger!" oder einfach "Der Golf-Schläger!". Wir machen aus aktuellem Anlass einen kleinen Rückblick auf 40 Jahre Gegenputsch, teils mit gutem, teils mit weniger gutem Ausgang.

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Blicken wir kurz zurück ins Jahr 1974, dem Geburtsjahr des Liga-Chefs, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie schlau, wie simpel und doch richtungsweisend das von Giorgio Giugiaro gezeichnete Fließheck war. Die potenzielle Konkurrenz sah entweder altbacken-barock (wie dieser 1971er Toyota Corolla) aus.

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Oder sie war technisch zwar avanciert, hatte aber gröbere Mängel. So wie der Alfa Romeo Alfasud, der bereits 1972 dank Frontantrieb so etwas wie die Blaupause für neue Kompaktklasse gab. Der Italiener hätte definitiv das Potenzial gehabt, dass heute von einer Alfasud- und nicht von einer Golf-Klasse die Rede ist. Ähnlich fit waren auch Renault R6, Citroën GS  oder Simca 1100, allesamt Belege, dass VW die Klasse nicht erfunden hatte. Doch der Alfasud war der eigentliche Golf vor dem Golf. Leider war er auch ein Rostloch auf vier Rädern. Der erste Golf rostete zwar auch, aber still.

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Völlig verschnarcht liefen die deutschen Mitbewerber auf. Der Escort - hier bereits als 1975er-Modell, der den Golf-Schlag irgendwie vergessen machen sollte - hoppelte noch mit Hinterradantrieb und hinteren Blattfedern daher. Der Golf hingegen brachte Frontantrieb, halbwegs sparsamen Motoren plus Einzelradaufhängung vorne und eine fein abgestimmte Verbundlenkerachse hinten unters Volk. Das war die Zukunft, bekanntlich.

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Erst 1980 brachte Ford einen ernsthaften Gegenspieler auf den Markt, der die Räder vorn animierte und ein praktisches Fließheck aufwies. Der Neue kam anfangs gut an. Doch dann kam der Golf II. Und der Escort lief wieder hinterher.

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Dagegen konnte selbst die überaus spannende Kombi-Version nichts ausrichten.

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Bei Opel lief es ähnlich. Der solide Kadett C kam ein Jahr vor dem Golf auf den Markt und diversifizierte sich artig in Coupé, Caravan und Stufenheck. Doch auch der setzte wie der Escort auf Heckantrieb, vor allem aber auf einen sehr betulichen Auftritt. 1977 ging man mit dem Kadett Aero prinzpiell den richtigen Weg, aber man ging ihn nicht Richtung Cabriolet zu Ende. Das machte dann VW 1979.

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Besser machte es der Kadett D ab 1979, der dem Musterschüler aus Wolfsburg bei den Verkaufszahlen wieder dichter auffuhr.

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Ein richtiger High Potential und ein ernstes Problem für die Wolfsburger war indes der zwischen 1984 und 1993 gebaute E-Kadett. Der rundgelutschte Kompakte fächerte sich nicht nur in alle wesentlichen Karosserie-Formen auf - neben dem Kombi gab es auch auch ein hübsches Cabrio von Bertone - sondern zeigte in der Energie-Version namens GSi 16V (150 PS) dem VW Golf GTI verlässlich das Heck.

Foto: opel

Leider nutzten die Rüsselsheimer den guten Lauf nicht, sondern brachten 1991 mit dem Astra einen Blech gewordenen Nichtangriffspakt an den Start. Seitdem ging es mit dem "Ewigen Zweiten" langsam, aber doch bergab. Heute ist der Golf zumindest am deutschen und österreichischen Markt außer Reichweite.

Foto: opel

Ein echter Golf-Schläger hätte in den 1980ern auch der Mazda 323 werden können. In Sachen Qualität, Fahrwerk und Ausstattung war das Fließheck dem Wolfsburger über mehrere Modellgenerationen hinweg zumindest ein ebenbürtiger Gegner. Doch nach den goldenen Achtzigern taten sich sich alle Japaner in Europa schwerer, auch Mazda: Den Trend hin zum effizienten Turbo-Diesel hatten sie verschlafen, echte Bestpreis-Angebote waren die immer aufwändigeren Modelle auch nicht mehr. Dass der aktuelle Mazda3 seine prinzipielle Golfhaftigkeit gekonnt mit echten Emotionen koppelt, zeigt dennoch, dass es in der Liga noch immer Alternativen gibt.

Foto: mazda

Verdammt nah dran war Anfang der 1990er auch der Fiat Tipo. Der Italiener gab sich innovativ, gut ausgestattet und trat mit einem durchdachten Raumkonzept und unzähligen Motorisierungen an. Die teilverzinkte Karosserie gab Rost nur wenig Chance. Blöd nur, dass dem Wagen ein windelweicher Unterbau spendiert wurde. Die Fahrgastzelle des Tipo erwies sich bei Crashtests ähnlich resistent wie ein leeres Plastiksackerl. Der Missstand betraf dann gleich auch alle Fiat- und Alfa-Modelle, die auf der Plattform bauten. Die Nachbesserungen kamen Fiat richtig teuer.

Foto: fiat

Und die Franzosen? Lieferten in der Kompaktklasse mal Licht, mal Schatten ab. Zwar war Frankreich der Nährboden für die Golf-Klasse gewesen, es dauerte aber lange, bis man den 1974er-Schock verarbeitet hatte. Beispielhaft ist etwa der Renault 11. Ein Auto für ganz bestimmte Mathematik-Lehrer.

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Exaltiert und dennoch erfolgreich war hingegen der Citroën BX. Die auf 4,2 Meter herunter gekantete Avantgarde betörte 12 Jahre lang die Kundschaft. Der hart an der (damaligen) Mittelklasse angesiedelte Franzose glänzte mit richtig guten Diesel-Motoren, Hydropneumatik und Walzentacho. Eigentlich kein Gegner für einen strunznormalen, strunzerfolgreichen Golf. Was er dann auch nicht war.

Foto: citroen

Richtig starke Player hatte hingegen die andere PSA-Abteilung, also Peugeot, im Talon. Der 306 gab ab 1993 den Dynamiker im Kompakt-Segement und gefiel mit Kombi und Cabrio-Variante. Er kam leider nur in Frankreich wirklich gut an. Der Nachfolger 307 (Bild) wollte es ab 2001 besser machen und wurde sogar Auto des Jahres. Doch das schicke Fließheck war nur mäßig zusammen geschraubt.

Foto: peugeot

Besser machten es der R19, der ab Anfang der 1990er Renault aus tristen Zeiten führte. Der Allrounder mit dem deutlich verbesserten Qualitätsanspruch schlug den Golf sogar in der Europa-Bestseller-Liste. Ähnlich gut machte sich sein Nachfolger, der Mégane.

Foto: renault

Der eigentliche Golf war rund um die Jahrtausendwende jedoch der Ford Focus. Nach dem rasend schlechten letzten Escort hatte Ford mit dem 1998 präsentierten Kompakten gleich zwei Modellgenerationen übersprungen und einen Alleskönner von der Leine gelassen. Fahrwerk, Lenkung, Motoren, Optik - hier war alles Best of Class. Bloß der Innenraum und dessen Plastiksorten waren es nicht. In jener Zeit hatte sie bei VW eine Methode entwickelt, um im Golf IV die Oberflächenwölbung der Armaturen mittels Slush-Technik nicht nur präzise, sondern superpräzise hinzubekommen. Dementsprechend monolithisch sah der Golf-Innenraum dann auch aus. Im Focus indes blickte einen eine formenwirre Landschaft an. Golf-Besitzer gefiel das gar nicht.

Foto: ford

In den Nullerjahren bis heute herauf stellten sich vor allem die Koreaner, hier der erste ernsthafte Vertreter, der Kia cee'd, an, um den Golf zu beerben. Das gelang ebensowenig, wie die Angriffe der aktuellen Astras, Focusse, A-Klassen oder 1er. 2013 verkaufte sich Österreichs ewige Nummer eins doppelt so gut wie der Zweitplatzierte, der VW Polo. Die unmittelbaren Ligakonkurrenten Renault Mégane, Ford Focus und Hyundai i30 reihen sich abgeschlagen auf den Plätzen 5, 7 und 9 ein.

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Ein Dauer-Ticket auf die Champion-Position hat der Golf dennoch nicht gelöst. Und das nicht, weil die Konkurrenz in der Kompaktklasse plötzlich besser oder noch günstiger werden könnte, sondern weil diese vor 40 Jahren für massentauglich befundene Liga von allen Seiten in die Zange genommen wird. Freizeit-orientierte SUVs aller Größen, kleine, aber komplette City-Geräte und knallhart kalkulierte Bestpreis-Angebote setzen dem einstigen Umsatzbringer-Segment und damit dem VW Golf zu. Das 50-Jahr-Jubiläum sollte sich dennoch ausgehen. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 1.4.2014)

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