Singende Bürgermeisterinnen und Bürgermeister – das wäre fein in einem Land, wo gerade nicht sehr viel gesungen und geschunkelt wird. "Jeder Tag ein Feiertag, wir sind bereit", sagt Kemal Kiliçdaroglu, der Chef der Republikanischen Volkspartei, am Ende des Wahlclips seiner Sozialdemokraten. Friede, Freude, Eierschmarrn. "Der glücklichste Mensch auf der Welt ist derjenige, der Glück gibt / Der edelste Mensch auf der Welt ist der, von dem Mitgefühl kommt / Der reichste Mensch auf der Welt ist der, der Herzen erobert..."

Diesen Damen und Herren sollen die türkischen Wähler am Sonntag also ihre Stimmen geben. Mustafa Sarigül in Istanbul, Macit Özcan in Mersin, Hadiye Ardahanli im stockkonservativen Tokat z.B.; 10,3 Prozent hat die CHP dort vor fünf Jahren errungen, Platz vier hinter der konservativ-religiösen AKP, der konservativ-religiösen Saadet-Partei und den Rechtsnationalisten der MHP. Aber versuchen wird es Hadiye Hanım ja wohl dürfen (übersichtliche 1,2 Prozent der Bürgermeister in türkischen Städten und Dörfern sind übrigens Frauen), und der Clip mit dem Volkslied aus den 1970er-Jahren, als links noch links war, die Religiösen noch lange nicht regierten und die Generäle gerade eine Pause einlegten, hat natürlich Prinzip: Er ist das Gegenstück zum brüllenden, feindseligen Erdogan. Das Versprechen von mehr Freiheit, nicht von mehr "festem Willen"  und "Ausrotten" diverser Gesellschaftsgruppen.

 

Für Istanbul, die 14- bis 17-Millionen-Maschine, wirbt CHP-Kandidat Mustafa Sarigül mit eigenen Plänen zur Verkehrsbewältigung, so, als ob Bürgermeister und Regierung der AKP in 20 (Istanbul), bzw. elf Jahren (Türkei) an der Macht nicht wirklich etwas getan hätten – oder zumindest nicht das Richtige. Im Wahlvideo sieht man einen Holzkopf, der wie ein Metronom hin- und herschwingt und zu keiner Lösung kommt – der "çare" ("Sarigülçare" - "Die Lösung ist Sarigül", heißt auch der weit verbreitete Slogan des Kandidaten). Sarigül will ein U-und S-Bahnnetz bauen lassen, das irgendwie schlauer ist als die bisherigen Pläne, mit unterirdischen Parkhäusern bei den Bahnstationen. Die dritte Bosporusbrücke findet er nicht gut – die Pfeiler stehen bereits, die Schneisen durch die Wälder sind gebahnt –, und den dritten Flughafen für Istanbul hält der Sozialdemokrat zwar auch für notwendig, aber er würde ihn an anderer Stelle bauen, in Silivri, außerhalb Istanbuls im Westen.

Sarigül Video

Mit ihrer verkehrs- und kopftuchtechnischen Leistungsbilanz wirbt dafür Tayyip Erdogans AKP bei diesen Kommunalwahlen. Man sieht zum Beispiel die Großmama (eher kemalistischen, modern westlichen Zuschnitts) und den Enkel beim nachmittäglichen Jetten von Asien nach Europa in Istanbul durch den Marmaray-Tunnel. Dann die Studentin aus Konya, die erstens mit Kopftuch in die Uni gehen kann, zweitens unter Benutzung des neuen Hochgeschwindigkeitszug nach Ankara, morgens hin, abends zurück ins Familienheim. Oder den bodenständigen Unternehmer, der sich über die stabile Konjunktur freut (gab es in den 1970er-Jahren nicht eben...); die Beamtenfamilie, die sich eine Eigentumswohnung leisten kann in einem neuen Viertel mit Spielplatz, Krankenhaus, Moschee... "Ich schaue nicht auf die Worte, sondern auf die praktischen Leistungen", sagen die AKP-Bürger immer am Ende. "Immer der Dienst, immer vorwärts", lautet der Slogan der Partei, oder "immer die Nation, immer der Dienst".

Der Friedensprozess mit der PKK schließlich nicht derzeit nicht recht vorangehen, doch als Wahlmittel taugt er für die Regierungspartei. Einen gewagten Übergang vom Waffen- zum Baulärm gibt es in einem Wahlclip, der die derzeitigen Arbeiten am neuen Flughafen von Yüksekova in Hakkari zeigt, einer Grenzprovinz zum Irak, die immer wieder Schauplatz von Gefechten und von Überfällen der PKK war. "Die neue Türkei ist auf dem Weg", heißt der Leitspruch, und die unterschwellige Botschaft ist: Die Atatürk-Türkei geht zu Ende. (Markus Bernath, derStandard.at, 29.3.2014)