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Ukrainische Polizisten bei der Befehlsausgabe auf dem Leninplatz von Donezk vor einer prorussischen Demonstration. Der steinerne Gast aus Sowjetzeiten zeigt wenig Interesse. 

Foto: Reuters/Behrakis

"Wir waren nie ein Teil der Ukraine, der Donbass gehört Russland." - "Jeder, der die Wahl hat zwischen der EU und Russland, wird die EU wählen." - "Mein Vorbild ist Georgien, dort hat sich viel zum Guten verändert." Alle diese Zitate stammen von Menschen aus der südöstlichen Metropole Donezk.

Ludmilla steht mit rotem Gesicht auf dem Leninplatz im Stadtzentrum. Sie ist Rentnerin und wünscht sich ein Referendum, um für einen Anschluss an Russland zu stimmen, "wie auf der Krim".

Andrej Brainin (55) sieht das komplett anders. Er ist nur ein paar Jahre jünger als Ludmilla und lebt mit seiner Frau in einer Wohnung im Stadtzentrum. Der Ingenieur betreibt eine kleine Software-Entwicklungsfirma. "Wir sind fünf Leute, ein Familienbetrieb", sagt er und schenkt Tee ein. Brainin beklagt, dass der bevölkerungsreiche Donbass seit Jahren "in einem Tal der Ahnungslosen" gehalten wird. "Zwischen 2004 und 2014 hat die Partei der Regionen hier alles kontrolliert: Staat, Wirtschaft, Medien und die Menschen", sagt er. Die Propaganda sei auf fruchtbaren Boden gefallen.

Leben als Bettler in der EU

So glauben viele Menschen, vor allem ältere und solche mit geringer Bildung, in den EU-Ländern lebten die meisten Menschen als Bettler. Sergej (56), ein Pensionist, stellt sich als "Bewacher des Lenindenkmals" vor. Er sei vor zwei Wochen in Lettland gewesen. Dort seien alle Fabriken geschlossen.

Luba Braunina (53) Andrejs Ehefrau, schüttelt den Kopf, als sie von Sergej hört. "Ja, das ist der Einfluss der russischen Medien", sagt sie. Sie selber rede seit dem Krim-Referendum nicht mehr mit ihrer Schwester. Die lebt in Dnipropetrowsk und hat ihr gesagt: "Wenn du nicht für den Beitritt der Krim zu Russland bist, bist du auch gegen mich." Das sei ein Denken wie zu Zeiten der Sowjetunion: "Wer nicht für uns ist, ist gegen uns und unser Feind."

Die Brainins hoffen, dass es vor den Wahlen nicht noch schlimmere Entwicklungen, wie das Krim-Referendum, gibt. "Ich denke, Putin wird nicht aufhören, bis er den Osten der Ukraine hat", warnt Andrej.

Mit dieser Angst ist der Unternehmer nicht allein. Auch Dmitri Makarenko und Jewgeni Semechin (beide 27) fürchten Krieg. Jewgeni ist Mitglied der Demokratischen Allianz, einer Bürgerrechtsgruppe, die zugleich als Partei registriert ist. Tagsüber arbeitet er als Verkaufsmanager in einer Firma, die Teile für den Innenausbau vertreibt. Der stille, hochgewachsene Mann senkt den Blick, wenn er über die Kriegsgefahr spricht: "Ich habe Angst, dass die russische Armee in Donezk einmarschiert." In einem solchen Fall würde er sich freiwillig zu den Verteidigungskräften melden.

Noch nie in Kiew

Student Dmitri ist da zurückhaltender. Er schwärmt von Georgien und wie gut es ihm in der Westukraine gefallen hat. "Ich bin im vergangenen Sommer nach Georgien gereist und habe mir dort mehrere Städte angeschaut. Es war umwerfend", sagt der angehende Ingenieur. Er sei auf das Gegenteil dessen gestoßen, was ukrainische Medien immer von Georgien berichtet hätten. Vor allem habe ihn fasziniert, wie die Verwaltung unter dem früheren Präsidenten Michail Saakaschwili umgebaut wurde. Ohne bürokratische Hürden und ohne Bestechung würden in Georgien Anmeldungen und andere Dinge effektiv und unkompliziert geregelt. Ein ähnliches Erlebnis hatte er, als er in diesem Winter das erste Mal in der Westukraine unterwegs war. Lwiw (Lemberg) und die Karpaten standen auf der Reiseroute. "Viele Donezker waren noch nie in Kiew, von Reisen in die Westukraine oder gar ins Ausland ganz zu schweigen", sagt Dmitri.

Das sollte sich seiner Meinung nach so schnell wie möglich ändern. Er hofft, dass die neue Regierung ein Programm auflegt, das den kulturellen Austausch innerhalb der Ukraine ankurbelt. "Ich war erstaunt, wie hilfsbereit und offen die Menschen in der Westukraine mir gegenüber waren", sagt Dmitri. Er möchte in Europa leben und hofft auf eine europäisch ausgerichtete Regierung. Auch Andrej und Luba wollen, dass ihr Land endlich vorankommt: "Wir haben lange genug den Geruch der Sowjetunion mit uns herumgetragen", sagt Andrej zum Abschied. (Nina Jeglinski, DER STANDARD, 28.3.2014)