Die Frau im Ohr: Joaquin Phoenix spaziert in Spike Jonzes "Her" mit einem virtuellen Wesen durch die Stadt.

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Wien - Die Welt dreht sich unbeirrt weiter. In Spike Jonzes romantischem Science-Fiction-Drama Her ist sie der Gegenwart nur um ein paar unwesentliche Bewegungen vorausgeeilt. Anstatt seine E-Mails auf dem Smartphone oder dem Computer abzulesen, ruft sie Theodore (Joaquin Phoenix), der verträumte Held des Films, mit seiner Stimme auf, während er durch eine in mildes Sonnenlicht getauchte Stadt nach Hause schlendert. Das Postfach ist in dieser annehmbaren Zukunft noch immer mit Junk vollgemüllt - "löschen", lautet die Anweisung.

Zu Hause erwartet den Mann, der tagsüber online intime Briefe für Leute aufsetzt, die selbst keine schreiben wollen, nur ein virtueller Spielfreund. Doch in Her, für den Jonze dieses Jahr mit einem Drehbuch-Oscar ausgezeichnet wurde, mündet dieses Szenario einer gutbehüteten Einsamkeit nicht blindlings in Kulturpessimismus. Die Bedenkenlosigkeit, ja, Intimität, mit der wir uns durch eine technologisierte Lebenswelt bewegen, schafft in diesem ungewöhnlich zarten und zugleich ganz ernsthaften Film ein "Monster", das (im Original) mit der verführerisch rauchigen Stimme Scarlett Johanssons spricht. Sie gehört zu einem personalisierten Betriebssystem, also einer Form von artifizieller Intelligenz, die sich den Namen Samantha gibt. Eigentlich dazu da, Theodores Arbeits- und Privatleben zu systematisieren, entwickelt die Wesenheit im Apple-ähnlichen Smartcase schnell Eigeninitiative. Man kann ihrem Bewusstsein förmlich bei der Entwicklung zuhören.

Computer, die Gefühle haben

In der Science-Fiction ist der Vorgang, dass Computer Gefühle entwickeln, in der Regel angstbesetzt - man denke nur an HAL aus Kubricks 2001, der ein Kinderlied singt. Spike Jonze polt dieses Schema mit erstaunlich leichter Hand zur Liebesgeschichte zweier Charaktere um, von denen nur einer einen Körper besitzt. Für Theodore, der an den Folgen einer Trennung laboriert, werden die Gespräche mit Samantha zum Mittel, sich dem Leben wieder offen zuzuwenden. Es braucht freilich ein paar Umwege, um zu erkennen, dass die aufmerksame Stimme im Ohr nicht Mittel zum Zweck, sondern das eigentliche Gegenüber ist, das er sucht.

Jonze hat bereits mit Filmen wie Being John Malkovich und Adaptation Originalität im Erzählen bewiesen, wurde dabei aber ein wenig vom seinem Starautor Charlie Kaufman überstrahlt. Seine große inszenatorische Stärke liegt in der Selbstverständlichkeit, mit der er auch absonderlichen Verhaltensweisen den Anschein von Natürlichkeit verleiht. Selbst wenn Theodore und Samantha sich wie zwei Turteltauben in der Öffentlichkeit bewegen, dabei aber notgedrungen nur ein Mann zu sehen ist, der mit sich selbst spricht, zweifelt man nicht an diesem romantischen Moment. Wir sehen im Kino eben immer das, was wir sehen wollen. Wie als Beweis bleibt die Leinwand beim ersten Sex der beiden einfach schwarz.

Mit Joaquin Phoenix hat Jonze einen Schauspieler bei der Hand, der nur zu Beginn eine Spur zu manieristisch wirkt. Phoenix versteht sich auf diese Art verkorkster Selbstbeschau - schon die Fake-Doku I'm Still Here , in der er seinen Absturz fingierte, war dafür ein Beispiel. Mit Schnauzer und Hornbrille, hängenden Schultern und am Bund zu hoch abgeschlossenen Hosen spielt er nun einen bescheidenen Mann, der sein Inneres lieber auf einer Festplatte konserviert.

Auch die lichten, luftigen Bilder des niederländischen Kameramanns Hoyte van Hoytema tragen viel dazu bei, dass sich der utopische Film um eine verwegene Zweisamkeit visuell von vergleichbaren Genrefilmen unterscheidet. Jonzes Tonfall bleibt dennoch melancholisch. Die Einsamkeit lässt sich in Her auch mit einem Surrogat nie ganz vertreiben - vielleicht auch deshalb, weil sie etwas zutiefst Menschliches ist. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 27.3.2014)