München - Wenn gesunde Menschen ihre Blickrichtung ändern, sind Kopf- und Augenbewegungen optimal aufeinander abgestimmt. Aus der Vielzahl möglicher Kombinationen, etwa wie schnell und weit Kopf und Auge bewegt werden, wählt das Gehirn jene, die die geringsten Fehler verursacht. Eine Forschergruppe um Nadine Lehnen vom Schwindel- und Gleichgewichtszentrum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) untersuchte die Blickbewegungen von Menschen mit einer beidseitigen Störung des Gleichgewichtsinns (Vestibulopathie) und von Patienten mit einer Kleinhirnstörung. Die Ergebnisse veröffentlichten sie aktuell in der Fachzeitschrift "Brain".

Die Forscher entwickelten ein mathematisches Modell, um horizontale Blickbewegungen vorhersagen zu können. "Gesunde Menschen wählen diejenige Kombination aus Augen- und Kopfbewegung, bei der die Blickrichtung am Ende der Bewegung am wenigsten variabel ist", erklärt Mitautor Stefan Glasauer. Sie wählen unbewusst die Bewegungen, die zu den geringsten Fehlern führen. Dies klappt auch, wenn das Trägheitsmoment des Kopfes künstlich verändert wird, indem der Kopf etwas beschwert wird.

Sensomotorische Fehlersignale

Patienten, die an einer Störung des Gleichgewichtssinns oder einer Kleinhirnstörung leiden, haben Schwierigkeiten ihre Blicksteuerung neuen Gegebenheiten anzupassen. "Für optimale Zielbewegungen ist die Information des Gleichgewichtssinns unabdingbar", so Lehnen. Patienten mit einer Störung des Gleichgewichtssinns können daher keine optimalen Blickbewegungen durchführen. Erstaunlicherweise können aber Patienten mit Kleinhirnstörung bis zu einem gewissen Grad lernen, Augen- und Kopfparameter, wie zum Beispiel die Geschwindigkeit der Kopfbewegung, zu optimieren, berichten die Forscher.

Die Studie zeige erstmals, dass der Gleichgewichtssinn entscheidend ist für optimale Blickbewegungen. Die Ergebnisse sind für die Rehabilitation von Patienten mit Kleinhirnschädigung und von Patienten mit unvollständiger Vestibulopathie von großem Interesse. "Wir nehmen an, dass durch Kopfbewegungen, bei denen das Gehirn passende vestibuläre Information erhält, die Blickbewegung und Wahrnehmung dieser Patienten verbessert werden kann", so Lehnen. Durch die Kopfbewegungen erhält das Hirn sensomotorische Fehlersignale, die helfen, Kopf- und Augenbewegung nach und nach zu optimieren. Statt ihren Kopf möglichst ruhig zu halten, sollten diese Patienten also eher ermuntert werden, ihren Kopf bewusst zu bewegen, wenn sie ihre Blickrichtung ändern.

Wie Menschen mit unvollständiger Vestibulopathie die optimale Blickrichtung durch Bewegung am besten lernen, soll nun im Rahmen einer Rehabilitationsstudie untersucht werden. (red, derStandard.at, 5. 4.2014)